Samstag, 9. März 2024

Biden zeigt sich bei Rede zur Lage der Nation 2024 kämpferisch

Die Rede zur Lage der Nation war für Joe Biden eine wichtige Gelegenheit, seine politischen Ziele und getroffenen sowie geplanten Maßnahmen einer breiten interessierten Öffentlichkeit darzustellen. Für jeden Präsidenten ist dies immer eine Chance, in Ruhe den Fokus auf wichtige Themen zu legen und dabei bestmöglich vorbereitet die unterschiedlichen Zielgruppen auch kommunikativ zu erreichen. Denn natürlich sind nicht nur die Mitglieder des US-Kongresses die Adressaten des Abends. Vielmehr sind insbesondere in einem Jahr der Präsidentschaftswahl die Wählerinnen und Wähler anzusprechen.





Eine Rede für das Herz von Wahlkampfstrategen


Rund 68 Minuten hat Biden seine Sicht der Dinge vorgetragen. Dass er dabei natürlich seine Politik in einem guten Licht präsentiert, war zu erwarten. Diese Rede hätte er auch vor einer großen Menge seiner Anhänger im Rahmen des Wahlkampfs halten können. Das Besondere an dieser Rede war letztlich aber der Versuch, alle wichtigen Aspekte zum Auftakt eines langen Wahlkampfjahres unter einen Hut zu bringen. Die Rede war so geschrieben, als hätte die Wahlkampfstrategen alles auf den Tisch geworfen, was von Relevanz sein könnte und dabei auch die wichtigsten Zielgruppen Bidens konkret benannt. Wenn man die Qualität der Rede auf diese Punkte reduzieren will, ist festzustellen, dass dies ein gelungener Auftritt des Präsidenten war. Mehr noch, Biden ist es gelungen, seinen Teil der Rede, nämlich die Art und Weise der Ansprache, so anzubieten, dass objektive Beobachter dem Präsidenten Energie, Kampfeswille und Leidenschaft attestieren mussten.


Biden nutzt Zurufe der Republikaner aufmerksam aus


Damit war eine wichtige Aufgabe des Abends erfüllt. Biden hat gezeigt, dass er auf den Punkt abliefern kann. Gründe für neue Zweifel an seiner mentalen Stärke lieferte er nicht, im Gegenteil, er machte einen kämpferischen, zielstrebigen Eindruck und nutzte auch Störfeuer aus den Reihen der Republikaner, um sie für sich zu nutzen. Diese Art der Improvisation kann niemand abliefern, der nur noch darauf bedacht ist, fehlerfrei vom Manuskript abzulesen, um nicht aus der Fassung gebracht zu werden.
Ein solcher Moment war der Einwurf von Marjorie Taylor Greene. Die republikanische Abgeordnete aus Georgia rief Biden zu, er solle den Namen einer von einem illegalen Migranten ermordeten Krankenschwester benennen, als der Präsident gerade über das Thema Grenzsicherung und Einwanderung sprach. Biden sprach aus, was nicht zu leugnen war. Ein Illegaler ermordete Laken Riley. Diese Art der Zuspitzung auf wenige Worte und die Reduzierung des Täters auf den Begriff "Illegaler" ist selten aus den Reihen der Demokraten zu hören. Biden hätte der Frage ausweichen oder die Fakten umschiffen verbal umschiffen können. Der Präsident aber tappte nicht in die ihm gestellte Falle und drehte den Spieß um. Er forderte die Republikaner im Kongress nochmals auf, den überparteilichen Kompromiss zur Verstärkung der Grenzkontrollen nicht länger aus Wahlkampfgründen zu blockieren. Verbesserungen, die die Republikaner lange Zeit gefordert hatten. Biden beendete diesen Moment, indem er auch Donald Trumps Verantwortung einbezog. Anstatt auf die Abgeordneten einzuwirken, das Gesetz weiter zu blockieren, sollte Trump den Plan unterstützen. Biden hob hervor, dass er illegale Einwanderer nicht verteufeln und nicht als Gift im Blut des Landes bezeichnen werde, wie Trump es zuletzt getan hatte.

Dass Biden beim Thema Grenzsicherung und Einwanderung schlechte Zustimmungswerte hat, ist offensichtlich. Nach diesem Abend, waren es aber die Republikaner, die die Fragen beantworten mussten, weshalb sie nicht gemeinsam mit den Demokraten und dem Präsidenten zumindest an einer Verbesserung mitwirken wollten. Der Präsident nutzte seine Chance ohne kritische Gegenfragen, von eigenen Versäumnissen abzulenken und die Fehler der Republikaner hervorzuheben. So wurde der Einwurf von Taylor Greene zu einem Eigentor. Überzeugte Trump- und Biden-Anhänger waren nicht die Zielgruppe des Abends. Die Unabhängigen oder zumindest noch nicht motivierten Wähler aus den eigenen Reihen sollten angesprochen werden. Den Ball zu den Republikanern zurückzuspielen war Biden an dieser Stelle gelungen und zwar nicht weil es so in seiner Rede stand, sondern weil Marjorie Taylor Greene ihm die Vorlage anbot und der Präsident sie dankend annahm.


Konfrontation löst Wille auf Versöhnung ab


Die Republikaner kritisierten Bidens Rede als zu parteilich. Tatsächlich gab sich Biden kaum Mühe, den Schulterschluss mit der GOP zu suchen. Der Präsident hat es zumindest an diesem Abend aufgegeben, immer wieder gegen eine Wand zu laufen, bei dem Versuch das gespaltene Land zu vereinen bzw. hier den tiefen Graben zwischen Demokraten und Republikanern zuzuschütten. Biden hat längst erkannt, dass ihm dies in seiner Präsidentschaft nicht gelungen ist und nun im erneuten Duell gegen Donald Trump ein aussichtsloses Unterfangen sein wird. Biden forderte in seiner Rede die Republikaner heraus. Neben dem gescheiterten Kompromiss zur Grenzsicherung zielte er dabei insbesondere auch auf die ausbleibenden Finanzhilfen für die Ukraine ab. Biden machte deutlich, dass er Putin für eine große Gefahr für die Sicherheit und die Zukunft der Demokratie in Europa und darüber hinaus halte. Auch hier nahm er Bezug zu Donald Trump, der in Hinblick auf die Zukunft der NATO mit dem Gedanken spielte, andere dazu zu motivieren, mit zahlungssäumigen Mitgliedern umzugehen, wie sie wollten.

Es schien so, als wäre Donald Trump ständig präsent gewesen. Biden sprach zwar nicht einmal dessen Namen aus, zog aber immer wieder den Vergleich zu seinem "Vorgänger". Dies zeigte, dass die Rede zur Lage der Nation nicht ein gewöhnliches Werben für die eigenen Positionen war. Biden wollte den Zuschauern vor Augen führen, in welcher Lage sie sich befänden, wäre Trump noch an der Macht bzw. würde er die Macht zurück erlangen. Eine solche klare Konfrontation die ganze Rede hindurch war schon ungewöhnlich.
Einen seiner stärksten Momente in diesem Sinne hatte Biden als er Trump vorhielt, man könne sein Land nicht nur lieben, wenn man gewinnt. Dabei nahm er Bezug auf dessen Rolle beim Sturm auf das Kapitol, dem Ort wo alle an diesem Abend wieder zusammengekommen waren. Die Demokratie müsste immer wieder auf Neue verteidigt werden, so Biden.


Bidens Versuch Kritiker in den eigenen Reihen zu besänftigen


Zuletzt musste sich Biden viel Kritik aus den eigenen Reihen anhören, wenn es um den Krieg Israels gegen Hamas bzw. die Lage im Gazastreifen geht. Ein deutlich stärkeres Engagement und Druck auf Israels Premierminister Netanjahu, das Leiden der Zivilbevölkerung zu beenden, werden gefordert. Der Präsident kündigte in diesem Zusammenhang den Bau eines Hafens im Gazastreifen an, über den Hilfsgüter die Bevölkerung erreichen sollen. Außerdem setzte er sich perspektivisch für eine Zwei-Staaten-Lösung in dem Konflikt ein. Dennoch verurteilte Biden unmissverständlich den Angriff der Hamas auf die jüdische Bevölkerung in Israel.
Die Republikaner halten sich in diesen Tagen und Wochen weitgehend zurück bei dem Thema. Die unumstößliche Unterstützung Israels wird auch bei ihnen in Frage gestellt werden, je länger das Leiden in Gaza fortdauern wird. Sie wissen, dass der Präsident hier unter Druck steht und werden ihm gewiss nicht zur Seite springen.
Biden wählt hier einen moderaten Weg, der langsamen und doch fortschreitenden Distanzierung von Netanjahus Linie. Die von Biden in Aussicht gestellte Waffenruhe konnte er bislang nicht erreichen. Insofern ist fraglich, ob er mit Hilfsmaßnahmen bei den ärgsten Kritikern innerhalb seiner Partei durchdringen wird.


Wirtschaftspolitik war zentraler Bestandteil der Rede


Neben der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Gefahr für die Demokratie räumte Biden dem Thema Wirtschaftspolitik viel Platz in seiner Rede ein. Es war wichtig, dass der Präsident die Lage der Amerikaner hier aufgriff, in verschiedenen Situationen wirkte es aber so, als wollte er alles irgendwie einmal erwähnt haben. Es machte den Eindruck, als wollte er mit der Brechstange erreichen, dass die Wirtschaftspolitik auch als so positiv empfunden werden soll, wie es seine präsentierten Zahlen und Erfolge vermuten lassen sollten. Fast schon rechtfertigend leitete er ein, indem er auf die schwierige Lage des Landes zu Beginn seiner Präsidentschaft unter Hinweis auf die Corona-Pandemie verwies. Die Leistung, aus dieser Krise herauszukommen sei enorm gewesen. Die Erfolge wären mit der Zeit auch tatsächlich spürbar, bat Biden indirekt um Geduld.
Es war deutlich zu erkennen, dass Biden um den Umstand weiß, dass nicht alles im Lot ist. Zu hohe Mieten und Kosten für den täglichen Bedarf sind etwas, was viele im Alltag spüren. Daran zu erinnern, aus welcher Krise man gekommen ist und welche theoretischen Zahlen sich verbessert hätten, war Biden ein wichtiges Anliegen.
Sollte das noch nicht überzeugen, so hatte der Präsident auch eine andere Aussicht parat. Mit den Republikanern an der Macht, würden nur wieder Steuergeschenke an die Reichsten im Land verteilt. Geld das einerseits fehlt und andererseits von der hart arbeitenden Mittelschicht alternativ aufgebracht werden müsste. Eine Zielgruppe, die die Wahlkampfstrategen insbesondere im Rust Belt und den so wichtigen Vororten im gesamten Land verorten. Sie sollen wieder ausschlaggebend über Sieg oder Niederlage im November sein.

Und natürlich nutzte Biden die Rede auch, um einen der wichtigsten Wahlkampfschlager hervorzuheben. Das Recht auf die Selbstbestimmung der Frau beim Thema Schwangerschaftsabbruch ist zurecht eines der am häufigsten genannten Unterschiede der letzten Monate. Denn hier gehen die Positionen der Demokraten und Republikaner weit auseinander. Die Demokraten erhoffen sich hierbei, besonders bei weiblichen Wählerinnen zu punkten. Ähnliche Dauerbrenner sind die Diskussionen um die Gesundheitsversorgung und die Verschärfung von Waffengesetzen. Auch diese Positionen brachte Biden in seiner Rede noch unter.


Biden hat annähernd das Maximum aus der Rede herausgeholt


Die Unzufriedenheit mit ihrem Präsidenten, wird Biden nicht mit einer Rede beseitigen können, mag sie auch noch gut in der Wahlkampfzentrale und im Weißen Haus vorbereitet worden sein. Das Ziel war es, jene Wählerinnen und Wähler, die ihn 2020 gewählt haben, erneut anzusprechen, daran zu erinnern, dass sich die Gründe für ein Votum für ihn nochmals verschärft hätten. Ein Votum gegen Trump. Ohne dieses Narrativ kommt Bidens Wahlkampf offenbar kaum aus. Dennoch hat sich Biden eben auch Mühe gegeben, seine Wählerschaft davon zu überzeugen, dass es auch positive Gründe gibt, weshalb es sich lohnt, seine Politik zu unterstützen. Dies konnte der Präsident so ausführlich darstellen, weil er die Zeit und die Bühne dafür hatte. Eine so gute Gelegenheit wird er nicht noch einmal bekommen. Sei es ein TV-Duell gegen Trump oder ein anderes moderiertes Wahlkampfformat, dann wird Biden deutlich mehr unter Zeitdruck stehen und sich kritischen Fragen ausgesetzt sehen. Und die Reichweite der eigenen Wahlkampfauftritte ist deutlich geringer als in der letzten Nacht vor dem Kongress. Das was Biden für diesem Moment erreichen konnte, hat er weitgehend abgeliefert. Mehr als eine Basis, ein eigener Startschuss in den Wahlkampf, konnte es auch nicht sein.

Ob es für Joe Biden die letzte Rede zur Lage der Nation war oder ein Baustein zu seiner Wiederwahl im November, werden die Amerikaner in knapp acht Monaten entscheiden.

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