Das Gesamtergebnis im Überblick
Wahlsystem fördert den Frust vieler Clinton-Anhänger und Trump-Gegner
Während in Michigan noch gezählt und geprüft wird, gibt es in vielen Teilen des Landes Protestkundgebungen gegen die Wahl Donald Trumps. Insbesondere in vielen Großstädten gehen meist junge Leute auf die Straße. Ihre Kritik richtet sich in erster Linie gegen den neu gewählten Präsidenten selbst. In Kalifornien gibt es vereinzelt Forderungen nach einem "Calexit", dem Austritt Kaliforniens aus den Vereinigten Staaten von Amerika.
Der Frust über die Niederlage Clintons und die Wut auf den neuen Präsidenten wird auch noch zusätzlich durch einen ganz bestimmten Umstand angeheizt. Es klafft eine massive Akzeptanzlücke zwischen dem Wahlergebnis in Zahlen und dem Endergebnis in der Sache. Nach aktuellem Stand dürfte Hillary Clinton fast eine halbe Million Stimmen mehr erhalten haben, als der letztliche Sieger Donald Trump. Das bekannte Problem mit dem Wahlsystem kommt nach dem Jahr 2000 nun schon wieder zum Tragen. Damals hatte der Demokrat Al Gore rund 543.000 Stimmen mehr erhalten als sein republikanischer Konkurrent Geroge W. Bush. Aber Bush hatte eben mehr Wahlmännerstimmen erreicht und wurde US-Präsident.
Das Problem der fairen Verteilung im Electoral College
Die Wahlmännerstimmen für die einzelnen Bundesstaaten enstprechen der Anzahl der Kongressmitglieder. Die kleinsten Bundesstaaten haben daher mindestens 3 Wahlmännerstimmen (2 Senatoren und mindestens 1 Abgeordneten im Repräsentantenhaus), Kalifornien hat die meisten mit 55. Aber dieses augenscheinlich angemessene Verhältnis spiegelt nicht das tatsächliche Verhältnis der Bevölkerungszahl wieder.
Ein Rechenbeispiel:
Im kleinsten Bundesstaat Wyoming, eine absolute Hochburg der Republikaner, leben knapp 600.000 Einwohner. Im von den Demokraten dominierten Kalifornien sind es rund 39,2 Mio. Wyoming hat 3 Wahlmännerstimmen. Also jede dieser drei Stimmen steht etwa für 200.000 Menschen. Wären diese nun im Verhältnis gleich verteilt, müsste Kalifornien 196 Wahlmännerstimmen erhalten, also 141 mehr, als es tatsächlich der Fall ist. Dieses Missverhältnis gilt natürlich auch andersherum bei den kleinen demokratischen Hochburgen wie etwa Vermont im Vergleich zum republikanischen Texas. Da es aber weit mehr kleine Bundesstaaten gibt, die fest in republikanischer Hand liegen, leiden insbesondere die Demokraten unter dieser Regelung.
Was könnte man also tun? Die Verteilung der Wahlmännerstimmen könnte neu geregelt und entsprechend der Bevölkerungsanzahl berechnet werden. Dies wäre allerdings auch nicht zwingend präzise. Es könnte ja sein, dass bei zwei ähnlich großen Bundesstaaten mit z. B. 5 Mio Einwohnern die Wahlbeteiligung völlig unterschiedlich ist. In dem einen Bundesstaat gehen 40% zur Wahl, in dem anderen 65%. Auch dann wäre die Verteilung der Wahlmännerstimmen nicht mehr mathematisch gerecht. Man könnte die Wahlmännerstimmen nach dem Wahlgang anhand der tatsächlich abgegebenen Stimmen berechnen.
Das Einfachste wäre es sicherlich, das Electoral College gänzlich abzuschaffen. Alle Stimmen werden landesweit gezählt, wer die Mehrheit hat, gewinnt. Dies würde zwar dazu führen, dass die weiten ländlichen Regionen im Heartland der USA wohl gänzlich vom Wahlkampf abgeschnitten wären und politisch in der Bedeutungslosigkeit versinken, aber es ist auch nach dem jetzigen System eigenartig, dass in Kalifornien oder Texas kaum Wahlkampf betrieben wird, sehr wohl aber in den wesentlich kleineren Bundesstaaten New Hampshire oder Iowa, die als Swing States gelten.
Alle Aspekte kann wohl nur schwer unter einen Hut bekommen. Fakt ist aber, dass es für den gesunden Menschenverstand kaum nachvollziehbar ist, dass die Mehrheit an landesweit gewonnenen Stimmen nicht zwingend für den Wahlausgang entscheidend ist.
Donald Trump kritisierte selbst mal das Electoral College
Insbesondere die Republikaner werden kein gesteigertes Interesse daran haben, das Electoral College zu überarbeiten oder gar abzuschaffen. Dabei hat Donald Trump selbst am 6. November 2012 via Twitter das Electoral College als ein "Desaster für die Demokratie" bezeichnet. Er könnte nun also selbst einen Schritt auf die Kritiker und die zahlreichen Demonstranten im Land zugehen und eine Abschaffung ins Spiel bringen.
Für eine Abschaffung wäre eine Verfassungsänderung erforderlich. Es müsste jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus für die Abschaffung stimmen. Zudem müssten 38 der 50 Bundesstaaten zustimmen. Eine solche Mehrheit zeichnet sich allerdings überhaupt nicht ab. Die Republikaner haben in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit. Und wie viele Demokraten zustimmen würden, ist ebenso fraglich. Ursprünglich wurde das Electoral College als Sicherheitsintrument zur Wahrung der Interessen der einzelnen Bundesstaaten eingesetzt.
Sind Abweichler möglich, die Trumps Präsidentschaft noch verhindern können?
Am 19. Dezember werden die Wahlmänner und übrigens auch Wahlfrauen ihre Stimmen jeweils im eigenen Bundesstaat abgeben. Kann es noch Überraschungen geben? Viele Wahlmänner sind nur ihrem Gewissen verpflichtet und können vom Votum der Wähler Abstand nehmen. In 24 Bundesstaaten besteht diese Regelung. In den anderen 26 Bundesstaaten und Washington D.C. sind sie gesetzlich verpflichtet, für den Gewinner ihres Bundesstaats abzustimmen.
Abweichler werden "faithless electors" genannt. In der Geschichte der USA ist es noch nicht vorgekommen, dass diese faithless electors mal entscheidend waren. In diesem Jahr hat Donald Trump mindestens 20 Stimmen Puffer im Electoral College. Gewinnt er Michigan, wären es gar 36 Stimmen. Unwahrscheinlich, dass er nochmal zittern muss. Übrigens hatte für dieses Jahr der Demokrat Robert Satiacum Jr. aus dem Bundesstaat Washington angekündigt, im Falle eines Sieges Clintons als faithless elector ihr die Stimme zu verweigern.
Wäre die Wahl mit wenigen Wahlmännerstimmen Unterschied ausgegangen, hätte man wohl nochmal genauer hinsehen müssen. Am 06. Januar 2017 wird das Ergebnis der Stimmabgabe vom 19. Dezember verkündet.
Hallo Thomas, an dieser Stelle nochmals ein vielfaches Dankeschön für Deine umfassende wie kenntnisreiche, sachliche wie umsichtige und differenzierte Berichterstattung. Selbst ich lerne dazu, z.B. im letzten Beitrag über die eigentlich zur Einwohnergröße der Bundesstaaten schon nicht adäquate Verteilung der Wahlmännerstimmen, die die kleinen Bundesstaaten bevorteilt, in Relation zur republikanischen Dominanz in eben den kleinen Bundesstaaten. Viele Grüße, Andreas
AntwortenLöschenZur Kritik am Wahlsystem
AntwortenLöschenOffenbar passt Ihnen der Wahlausgang nicht. Darum nun aber das Wahlsystem ändern zu wollen ist opportunistisch und vor allem auch kurzsichtig. Denn die Verhältnisse können sich ja ändern. Fordern Sie dann erneut ein System, das Ihnen passt und Ihrem Favoriten gerecht wird?
Ich ermuntere Sie, sich schlau zu machen, wie ein Bundesstaat funktioniert. Es ist eben genau die Absicht, dass die Grossen die Kleinen nicht majorisieren können. In den USA sind dies NY und CA bei uns in der Schweiz die Kantone Zürich und Bern.
Das austarierte demokratische System hat sich bewiesenermassen bewährt.
Gruss
Charly Keiser