Am zweiten Abend des Parteitags der Demokraten wurde Joe Biden nun offiziell als Spitzenkandidat nominiert. Der sog. "roll call" war in diesem Jahr speziell. Es wurde zügig in alle Bundesstaaten und weitere stimmberechtigte Territorien (z. B. Puerto Rico, American Samoa etc.) geschaltet, wo deren Vertreter in kurzweiligen Beiträgen die Chance nutzten, ihren Bundesstaat an symbolischen Orten oder mit besonderen Erinnerungen vorzustellen und das Ergebnis zu verkünden.
Es wurden die Delegiertenstimmen für Joe Biden und Bernie Sanders genannt. Im Anschluss bedankte sich Joe Biden zuhause im Kreise seiner Familie. Seine Rede zur Annahme der Nominierung wird Joe Biden in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, gegen 04:00 Uhr (deutscher Zeit) halten.
Eine Redner- und Programmübersicht für den gesamten Parteitag findet Ihr HIER.
Wird der linke Flügel ausreichend mitgenommen?
Mit etwas Spannung wurde auf den kurzen Redebeitrag der weit links stehenden Alexandria Ocasio-Cortez geblickt. Sie hielt die formale Nominierungansprache für Bernie Sanders im Vorfeld des "roll calls". Rund 90 Sekunden hatte sie Zeit. Mit Sicherheit hätten sie und die progressiven Kräfte der Partei etwas mehr Zeit haben wollen, aber die Organisation des Parteitags entschied sich für diesen Weg. Ocasio-Cortez hatte kaum Möglichkeit ihre Positionen, die sich von denen Bidens nicht unwesentlich unterscheiden, vorzutragen. Stichpunktartig führte sie die wichtigsten Mängel im Land und der Gesellschaft an, um dann Sanders als Alternativkandidaten vorzuschlagen.
Es hätte auch einfach nicht gepasst. Was am Vortag mit Sanders Rede für Joe Biden noch so gut gelang, musste an diesem zweiten Abend zurückstehen. Ob es den linken Sanders-Unterstützern, die anteilig 2016 schon nicht Hillary Clinton wählten, ausreichen wird, aus ihrer Sicht nur Donald Trump verhindern zu wollen, ist mehr als fraglich. Je ideologischer die Positionen sind, desto weniger kompromissbereit dürfte das Wahlverhalten sein. Auch wenn Sanders der Kopf der linken Bewegung ist, schon längst haben junge progressive Kräfte in der Partei an Einfluss gewonnen. Dazu gehört insbesondere auch Ocasio-Cortez.
Um eines aber klarzustellen: Alexandria Ocasio-Cortez unterstützt Joe Biden bei der Präsidentschaftswahl. Die Nominierungsansprache für Bernie Sanders ist ein rein formaler Akt und die Abgeordnete ist vom DNC gefragt worden, ob sie diese Rolle übernehmen würde. Verschiedene Reaktionen in den US-Medien und den sozialen Netzwerken, interpretierten ihren Auftritt als Nichtunterstützung für Biden. Ocasio-Cortez widersprach vehement.
If you were confused, no worries!— Alexandria Ocasio-Cortez (@AOC) August 19, 2020
Convention rules require roll call & nominations for every candidate that passes the delegate threshold.
I was asked to 2nd the nom for Sen. Sanders for roll call.
I extend my deepest congratulations to @JoeBiden - let’s go win in November. 🇺🇸 https://t.co/uI92P3UfLn
Wahlkampfstrategen der Demokraten befürchten aber dennoch, mit ihren Positionen und einer allzu starken Präsenz, könnte Ocasio-Cortez moderate Republikaner abgeschrecken. Die Strategie ist in diesen Tagen schlicht eine andere. Im Idealfall sollen eben beide Seiten berücksichtigt werden, im Zweifel scheint das Werben um die politische Mitte aber Priorität zu haben.
Mit Sanders und Ocasio-Cortez haben die beiden schärfsten prominenten Köpfe des linken Flügels nun ihre Auftritte gehabt. Es folgt noch Elizabeth Warren, die für die linken Wählerinnen und Wähler sprechen könnte. Sie wird Joe Biden aber ganz sicher nicht inhaltlich derart anzählen, dass dieser Schaden nehmen würde.
Vieles wird an Biden selbst hängen. Sein Auftritt morgen und auch die vielbeachteten TV-Debatten im September und Oktober werden maßgeblich dafür sein, wie weit er junge linke Wählerinnen und Wähler erreichen kann.
Ocasio-Cortez hat Biden kein Strich durch die Rechnung gemacht, ein Freifahrtschein hat der frühere Vizepräsident aber auch nicht erhalten. Will er sich auf die progressiven Stimmen zählen, wird er Zugeständnisse machen müssen. Dass er sich hier einem Interessenkonflikt ausgesetzt sieht, ist offensichtlich. In beide politische Richtungen zu blicken, ohne einer Seite den Rücken zuzuwenden, ist eine besondere Herausforderung. Die Nominierung Kamala Harris als Running Mate ist beispielsweise ein Versuch, keiner Seite vor den Kopf zu stoßen.
Das Werben um Republikaner geht weiter
Und so war der Abend dann doch wieder etwas geprägt, von dem Geist verganger Tage, als Demokraten und Republikaner noch zusammengearbeitet haben, auch wenn diese Darstellung sicher nicht in Gänze den Erinnerungen aller damals handelnden Personen der vergangenen 30 Jahre entspricht.
Dennoch, mit dem früheren Außenminister Colin Powell und einem Einspielfilm über die Freundschaft von Joe Biden und dem verstorbenen Senator John McCain, in dem die Witwe Cindy McCain kommentierte, wurde der erneute Versuch des Schulterschlusses zwischen Biden und moderaten Republikanern unternommen.
John McCain war die entscheidende Stimme im US-Senat als es 2017 zur Abstimmung über die Aufhebung der Gesundheitsreform "Obamacare" kam. Der Republikaner stimmte mit den Demokraten und verhinderte damit Trumps Ansinnen, Obamacare abzuschaffen.
Auch die Redebeiträge von Bill Clinton und John Kerry waren nochmal ein Blick zurück in die Vergangenheit. Beide Köpfe stehen nicht mehr, für die Zukunft der Demokraten.
Jill Biden - von der Second zur First Lady?
Zum Abschluss des Abends gab es dann den Auftritt Jill Bidens als Ehefrau des frisch nominierten Spitzenkandidaten. Sie stellte sich selbst vor und gewährte Einblicke in das Privatleben der Bidens, in der frühere Vizepräsident zum wiederholten Male auf diesem Parteitag als verlässlicher, gütiger und besonnener Charakter dargestellt wurde.
Nominierung von Kamala Harris
Heute wird der Fokus auf Kamala Harris liegen. Sie wird per Akklamation als Vizekandidatin nominiert werden und selbst das Wort ergreifen. Als weiteres Highlight ist der Auftritt Barack Obamas geplant. Mit Spannung wird zudem der Redebeitrag der 2016 gegen Donald Trump unterlegenen Hillary Clinton erwartet.
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