Donnerstag, 8. Oktober 2020

Pence und Harris im TV-Duell, gute Auftritte und eine taktische Siegerin

In der vergangen Nacht fand die Vizepräsidentschaftsdebatte in Salt Lake City, Utah, statt. Es ist das einzige direkte TV-Duell zwischen Mike Pence und Kamala Harris in diesem Wahlkampf gewesen. Die Debatte wurde von Susan Page, USA Today, geleitet.

Das Duell verlief deutlich disziplinierter als das Aufeinandertreffen zwischen Trump und Biden. Im Ton ruhiger, aber inhaltlich dennoch angriffslustig wurden in 90 Minuten die Themen Coronakrise, Gesundheitsversorgung, Steuern, Klimawandel, Rassismus, Abtreibung, das Verhältnis zu anderen Staaten, der Supreme Court und die Integrität der Wahl diskutiert. Dabei nahmen Pence und Harris insbesondere die beiden Spitzenkandidaten Trump und Biden ins Visier und verteidigten den jeweils eigenen.


Das Duell nochmal zum Ansehen



Selbst verschaffte Redezeiten und unbeantwortete Fragen

Wenn ich von einer gesteigerten Debattendisziplin schreibe, beziehe ich das natürlich auf die Eindrücke, die das 1. TV-Duell Trump vs Biden hinterlassen haben. Stilistische Auffälligkeiten, die ebenfalls eigene Wirkungen entfalteten, waren auch in der vergangenen Nacht zu beobachten.

Zwar haben sich Pence und Harris kaum bzw. in einem normalen Maß unterbrochen, dennoch ist während der gesamten Debatte aufgefallen, dass sich die Moderatorin in einem Punkt kaum durchsetzen konnte. Insbesondere Mike Pence hielt sich fast nie an die begrenzte Redezeit und redete einfach so lange weiter, bis er der Auffassung war, fertig zu sein. Die vielen zwischenzeitlichen Unterbrechungen durch Page ("Thank you, Mr. Vice President") wurden von Pence schlicht ignoriert. Aber auch Kamala Harris ließ es sich dann stellenweise nicht nehmen, ihr besonders wichtige Punkte länger auszuführen, als es Page wohl recht war.

In Richtung des Vizepräsidenten trat Harris meist souverän und resolut auf, wenn dieser sie doch einmal unterbrach. Sie wurde im Ton nicht lauter und vermied auch gleichzeitig zu sprechen. Stattdessen wies sie Mike Pence einfach daraufhin, dass sie gerade spreche. Pence bat darum, sie solle dabei auf die Wahrheit achten, ließ sie dann aber auch zu Ende ausführen. Auch in Richtung Harris funktionierte ein höfliches Ermahnen, ausreden zu dürfen.


Pence Auftritt könnte Stimmen bei weiblichen Wechselwählerinnen gekostet haben

Ich führe die Disziplin der Debattenführung hier zu Beginn an, weil bei aller augenscheinlicher Höflichkeit von allen Seiten, die Hartnäckigkeit Mike Pence im Umgang mit der Moderatorin Susan Page ggf. bei einigen Wählerinnen negativ in Erinnerung geblieben sein könnte. Es ist aus zahlreichen Umfragen und auch aus der Wahl 2016 abzulesen, dass Donald Trump bei Frauen im Vergleich zu Joe Biden oder eben auch Hillary Clinton 2016 weniger Zuspruch findet. Insbesondere jene weiße Frauen, mit (über-) durchschnittlicher Bildung, wohnhaft in Vororten von Großstädten zählen zu den wichtigsten und meist umworbenen Wechselwählerinnen, um die es auch bei dieser Wahl wieder zu kämpfen gilt. Wenn sie einen Vizepräsidenten sehen, der sich zwar im grundsätzlichen Umgangston von Donald Trump unterscheidet, die Rolle der weiblichen Moderatorin aber dahingehend konsequent missachtet, sich selbst die Redezeit zu nehmen, die er haben will, könnte sich das negativ auf die Chancen auswirken, bei dieser Zielgruppe in Stil und Persönlichkeit gepunktet zu haben. Auch inhaltlich verdeutlichte Pence nochmal seine Pro-Life Haltung, sprach sich gegen Schwangerschaftsabbrüche aus, während Kamala Harris das Recht auf die freie Entscheidung der Frau hervorhob.

Ich hatte es in meiner Vorschau auf die Debatte bereits erwähnt. Mike Pence tritt bei solchen Duellen konsequent und beharrlich auf, lässt sich in der Regel nicht aus der Ruhe bringen. In der vergangenen Nacht, hat er aus meiner Sicht damit etwas übertrieben, was nicht nur wenig respektvoll gegenüber Susan Page war, sondern auch die Zusehenden nicht selten ohne Antwort auf die konkret gestellten Fragen zurückließ. Dass Page nicht erfolgreich nachhakte, ist ein anderes Thema.


Pence klassische Debattenstärke

Den negativen Aspekt nun ausgeführt, will ich aber auch deutlich machen, dass genau dieses Verhalten von Mike Pence sicherlich auch Zuspruch fand. Es wird Zuschauerinnen und Zuschauer geben, die Pence Auftritt als standhaft und durchsetzungsstark empfunden haben. Sie liegen damit natürlich nicht zwingend falsch. Auf diese Weise ist es ihm gelungen, um konkrete Antworten auf kritische Fragen herumzukommen. Das gehört eben auch zu einer starken Performance dazu, in der Lage zu sein, schwierige und unangenehme Themen so zu umschiffen, dass es möglichst wenig auffällt, wenn man sie nicht beantworten will. Natürlich ist den meisten Zusehenden nicht verborgen geblieben, dass er beispielsweise die Frage nicht beantwortet hat, was er persönlich tun werde, wenn Donald Trump eine mögliche Wahlniederlage nicht akzeptieren würde und ein friedlicher Machtübergang gefährdet wäre. Susan Page hat diese aus meiner Sicht geschickte Frage offenbar bewusst mit einer persönlichen Komponente verbunden, um den Druck auf Pence maximal zu erhöhen, nicht mit allgemeinen Äußerungen über andere davonzukommen. Es gelang ihm dennoch, mit der lange ausgeführten Aussage, dass er davon ausgehe, die Wahl zu gewinnen, auszuweichen. Sowohl Susan Page als auch Kamala Harris ließen ihn damit davonkommen.

Dann war es Mike Pence selbst, der für den aus meiner Sicht schwächsten Moment von Kamala Harris an diesem Abend sorgte. Er stellte ihr direkt die Frage, wie sie dazu stehe, den Supreme Court so zu vergrößern, dass es einem Präsidenten Biden möglich wäre, die dann zusätzlich zu besetzenden Richterposten mit liberalen Richterinnen und Richtern auszufüllen, um die absehbare konservative Mehrheit am Obersten Gericht der USA zu kippen. Biden selbst ließ diese Frage im TV-Duell mit Donald Trump unbeantwortet und auch Kamala Harris äußerte sich nicht dazu. Sie ging nicht einmal darauf ein. Und auch auf Nachfrage spielte sie den Ball das Thema verwässernd zu Pence zurück.

Aus meiner Sicht wäre zumindest eine ausweichende Antwort, etwa, dass dazu noch keine Entscheidung getroffen wurde, etwas direkter und glaubwürdiger, als das reine Ignorieren einer Frage. Jedenfalls ist es Harris an dieser Stelle nicht gelungen, galant aus der kritischen Situation herauszukommen. Zumindest bei mir blieb der Eindruck, dass sie sich entweder mit Joe Biden in dieser Frage nicht einig sei oder dass man eine bereits getroffene Entscheidung nicht publik machen will.

Ob Biden und Harris für eine Vergrößerung des Supreme Courts zu haben sind, ist derzeit nicht bekannt. Biden hatte sich in der Vergangenheit grundsätzlich dagegen ausgesprochen. Der zunehmende Druck aus den eigenen Reihen der Demokraten und das sich immer weiter zuspitzende negative Verhältnis beider Parteien im US-Kongress führten offenbar dazu, dass man sich bei den Demokraten nicht eindeutig äußern will. Mike Pence ist es gelungen, diesen Umstand deutlich zu machen, stellte fest, dass Harris ebenfalls nicht antwortete und forderte dazu auf, beim nächsten Präsidentschaftsduell darauf zu achten, ob Biden dann eine Antwort hätte.

Das Verhalten von Mike Pence in Sachen Redezeit und Umgang mit der Moderatorin und das offensichtliche Ausweichen von Kamala Harris in der Supreme Court Frage waren aus meiner Sicht die jeweiligen Schwachpunkte des Abends.


Pence spricht konservative Wählerschaft an

Inhaltlich konnten sowohl Mike Pence als auch Kamala Harris ihre jeweiligen Positionen konsequent vertreten und damit punkten. Für Mike Pence positiv zu erwähnen ist, dass er mit seinem Auftritt die klassischen konservativen Wählerinnen und Wähler der Republikaner ansprach. Ihm ist es gelungen, konservative Werte weit gemäßigter zu transportieren als es Donald Trump macht. Trump und Pence haben innerhalb der republikanischen Wählerschaft unterschiedliche Zielgruppen. Teile von Trumps Anhängerschaft mögen dessen direkte, unkonventionelle und provokative Art und nehmen dabei auch bewusst in Kauf, dass die Äußerungen häufig maßlos übertrieben sind und teilweise nicht der Wahrheit entsprechen. Man freut sich praktisch darüber, dass ihr Präsident damit durchkommt und einen klaren Gegenpol zum politischen Establishment darstellt, von dem man sich schon lange nicht mehr vertreten fühlt. Auf ideologische konservative Werte kommt es dabei weniger an.

Mike Pence dagegen, tritt deutlich gemäßigter im Ton auf. Seine politischen Wertvorstellungen sind allerdings stets deutlich konservativ. Damit spricht er weit mehr die wertkonservative religiöse Basis der Republikaner und nebenbei auch diejenigen in der Partei an, die sich von Trumps forschen Auftreten abgestoßen fühlen. Insofern war es für Mike Pence ein erfolgreicher Abend, diesen unausgesprochenen Auftrag zu erfüllen. Der Versuch, das Duo Biden/ Harris als zu links und zu progressiv darzustellen, könnte insbesondere immer dann bei der konservativen Wählerschaft Anklang gefunden haben, wenn er Reizthemen wie Steuererhöhungen, den Green New Deal oder Abtreibungen zum Thema machte.

Nicht erfüllen konnte er aus meiner Sicht aber die allgemeine Notwendigkeit noch unentschlossene und unabhängige Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen. Dafür brachte ihn Kamala Harris zu häufig in die Defensive.


Harris taktisches Konzept ging auf

Kamala Harris ist es allerdings nicht weniger gut gelungen, ihre Positionen zu vertreten. Während Pence insbesondere mit den von ihm selbst gesetzten Themen bei seiner Wählerschaft punktete, wurde er von Harris manches Mal in Bedrängnis gebracht. Dabei musste er häufig das Verhalten Donald Trumps rechtfertigen, was nicht immer gelang. Gerade beim Thema Nr. 1, COVID 19, das zudem auch noch den Beginn und Einstieg in den Abend markierte, setzte Harris dem Vizepräsidenten zu. Hierbei gelang es ihm nicht ausreichend, den von Harris angeprangerten Versäumnissen der Regierung entgegen zu treten. So war das Muster, was sich die Demokratin zurecht gelegt hatte, insgesamt erfolgreich. Mit den Themen, von denen sie aus Umfragen wusste, dass Trumps Regierung eher weniger Zuspruch hat, konfrontierte sie Mike Pence direkt und stellte ihn immer wieder vor die Aufgabe, das Verhalten des Präsidenten zu erklären.


Kamala Harris darf sich als taktische Siegerin sehen

Der gesamte Abend war praktisch eine Verfestigung der aktuellen Lage. Beide Seiten konnte jeweils im eigenen Lager punkten. Das noch immer unentschlossene Wählerinnen und Wähler gewonnen werden konnten, dürfte nur vereinzelt der Fall gewesen sein.

Dennoch würde ich so weit gehen und nicht einfach von einem Unentschieden sprechen. Kamala Harris ist aus meiner Sicht die taktische Siegerin des Duells gewesen. Dieser Einschätzung liegt insbesondere die Berücksichtigung der Ausgangslage zugrunde. Es sind nur noch knapp vier Wochen bis zur Wahl, aktuell wird bereits gewählt und die Umfragewerte in fast allen entscheidenden Bundesstaaten stagnieren zugunsten eines Vorsprungs Joe Bidens oder verbessern sich sogar noch für die Demokraten.

Kamala Harris hatte nicht die Aufgabe ein Feuerwerk verbaler Angriffe zu präsentieren. Aus Sicht der Wahlkampfteams Biden/Harris hätte es diese TV-Debatte praktisch gar nicht gebraucht. Die Situation für Biden ist gut und die ablaufende Zeit bis zum Wahltag spielt den Demokraten in die Karten. Nur ein desolater Auftritt Mike Pence hätte die Ausgangslage für Biden noch mehr verbessern können. Das war aber nicht zu erwarten und tatsächlich tat Pence den Demokraten diesen Gefallen auch nicht.

Die Fallhöhe für Harris war weit bedeutender und realistischer. Wäre in der vergangenen Nacht der Eindruck entstanden, Harris könnte nicht im Notfall das von Biden angestrebte Präsidentenamt übernehemen, wäre dies ein klarer Rückschlag für die Demokraten gewesen. Harris Aufagbe war es also, diese Zweifel nicht aufkommen zu lassen und die positive Stimmungslage der Demokraten zu konservieren. Die Taktik, die sie sich dafür zurechtgelegt hat, ist aufgegangen. Dazu gehörten ein bestimmtes aber respektvolles Auftreten, sich selbst nicht über den eigenen Spitzenkandidaten zu stellen und diesen gegen Angriffe von Mike Pence zu verteidigen und insgesamt keine Unsicherheiten im eigenen Lager aufkommen zu lassen. Zudem verstand sie es, die Kritik am politischen Gegner maßvoll vorzubringen ohne eine triumphierenden Sieg über Pence mit allen Mitteln erzwingen zu wollen.

Vereinfacht gesagt, hat sich Kamala Harris dem breiten Publikum der Wählerschaft in den USA vorgestellt und jene, die den Demokraten nahe sind oder zumindest offen gegenüberstehen, beruhigt und zufrieden in die Nacht verabschiedet. Wer bislang für Joe Biden war, ist in der vergangenen Nacht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht davon abgebracht worden, ihn aufgrund seiner Auswahl von Kamala Harris zu wählen. Den Rest werden nun wieder Donald Trump und Joe Biden unter sich ausmachen müssen.

Beide treffen in der Nacht vom 15./16.10. im zweiten von drei TV-Duellen aufeinander. Trump will dieses Duell in jedem Fall, Biden hat aber zur Bedingung gemacht, dass Trump bis dahin einen negativen Coronatest vorlegen kann, sofern man persönlich gemeinsam auf der Bühne stehen will.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen