Ein spannendes Rennen um einen wichtigen Sitz um US-Senat könnte es bei den diesjährigen Midterm Elections im Bundesstaat Ohio geben. Die Betonung liegt dabei auf "könnte". Denn eigentlich gilt Ohio inzwischen als relativ sicherer Bundesstaat für die Republikaner. Bei Präsidentschaftswahlen musste man Ohio in den Jahren 2000 bis 2012 stets als Swing State mit knappen wechselnden Mehrheiten betrachten. 2016 konnte Donald Trump aber einen soliden Vorsprung von 8 % vor Hillary Clinton erzielen. Bestätigt wurde diese Tendenz auch 2020, als Trump im Jahr seiner Wahlniederlage Ohio erneut mit 8 % Vorsprung vor Joe Biden gewinnen konnte.
Für den US-Senat schickte Ohio lange Zeit den Republikaner Rob Portman und den Demokraten Sherrod Brown nach Washington. Zwischen den beiden Erfolgen Trumps gewann Brown mit 7 % Vorsprung den Senatssitz im Jahr 2018 und bewies damit, dass die Demokraten auch in Ohio noch gewinnen können. Hierbei muss jedoch berücksichtigt werden, dass Brown Amtsinhaber war und zu einer Zeit gewann, als die Republikaner nach zwei Jahren Trump in einem Stimmungstief bei den damaligen Midterm Elections lagen. Die Demokraten gewannen eine deutliche Mehrheit im US-Repräsentantenhaus.
Wird Ohio von künftig zwei Demokraten im US-Senat vertreten?
Will man nun die Chancen der beiden Kandidaten in Ohio einschätzen, sind im Wesentlichen die vier folgenden Faktoren zu berücksichtigen:
- Wählerstruktur des Bundesstaats
- allgemeine Stimmung im Land
- Kandidaten
- Umfragen
Wie bereits dargestellt, ist Ohio inzwischen ein starker Bundesstaat für die Republikaner. In den letzten gut 30 Jahren war beispielsweise das Amt des Gouverneurs nur in den Jahren 2007 bis 2011 einmal in demokratischer Hand. Die Republikaner bestimmen ebenfalls mit klaren Mehrheiten die beiden lokalen Kammern (Senat und Repräsentantenhaus) des Bundesstaats.
FiveThirtyEight hat analysiert, dass Ohio bei Kongress- oder Gouverneurswahlen 12,4 % stärker republikanisch wählt als der Landesdurchschnitt in den USA. Das liegt im Bereich von Texas und ist vergleichbar mit Bundesstaaten wie Washington, Connecticut und New Jersey auf Seiten der Demokraten. Vereinfacht und rein theoretisch gesagt: Die Demokraten müssen erstmal einen strukturellen 12,4 % Rückstand aufholen. Es gibt Fälle aus der jüngeren Vergangenheit, in denen eher moderate Demokraten wie Amy Klobuchar oder auch Joe Manchin das strukturell zu erwartende Ergebnis deutlich übertroffen haben. Im Falle Manchins ist es gelungen, im deutlich republikanisch geprägten West Virginia zu gewinnen.
Wenn also Demokraten eine Chance in Ohio haben wollen, müssen die übrigen Faktoren das strukturelle Defizit wettmachen. Der Kandidat und die Stimmungslage müssen passen, um Wechselwähler und moderate Republikaner zu überzeugen.
Demokraten und Republikaner landesweit gleichauf
Die allgemeine Stimmungslage ist derzeit sehr dynamisch. Während im Frühjahr die Republikaner klar favorisiert waren, haben einige politische Entwicklungen inzwischen zu einer tendenziellen Umkehr gesorgt. Die Demokraten standen im Jahr 2022 noch nie so gut dar, wie aktuell. Bei Umfragen zum Generic Congressional Vote/Ballot, dem landesweiten Stimmungstest für beide Parteien, liegen beide Parteien nahezu gleichauf, wobei die Republikaner über das Jahr hinweg etwa mit 4 % Vorsprung gesehen wurden. Wie weit die Demokraten noch nach oben klettern können oder aber die Republikaner die aktuelle Lage halten oder sogar wieder zu ihren Gunsten umkehren können, ist spekulativ und weiter zu beobachten. Bleibt die Stimmung relativ ausgeglichen, dürften die Republikaner sehr gute Chancen haben, den Sitz für den US-Senat erneut zu gewinnen.
J.D. Vance - Kandidat dank Trumps Unterstützung
Ein weiterer Faktor ist natürlich der Kandidat selbst. In diesem Jahr tritt der republikanische Senator und Amtsinhaber Rob Portman nicht wieder an. Ein Amtsinhaberbonus entfällt entsprechend.
Bei den Vorwahlen der Republikaner hat sich der 38-jährige J.D. Vance durchgesetzt; das J.D. steht übrigens für James David. Das war alles andere als ein Selbstläufer. Vance lag in Umfragen lange Zeit auf Platz 3. Dann schaltete sich Donald Trump in den Vorwahlkampf seiner Partei ein und rief offen zur Unterstützung für Vance auf. Die Umfragen schnellten nach oben, Vance zog an seinen Konkurrenten vorbei und gewann letztlich knapp 33 % der Stimmen und lag damit gut 8 % vor den Mitbewerbenden. Der Rückhalt für Vance, immerhin wählten ihn Zweidrittel nicht, scheint zumindest keine unüberwindbare Hürde zu sein.
J.D. Vance by Gage Skidmore |
Vance ist Finanzinvestor und Schriftsteller, verfügt über keine politischen Vorerfahrungen in Form von Wahlen, Ämtern oder Posten. Dass Vance, früher ein Kritiker Trumps, inzwischen an der Seite des Ex-Präsidenten steht, dürfte angesichts der starken Ergebnisse Trumps in Ohio kein größeres Problem darstellen. Vance zählt zu den sog. Wahlleugnern, die Trump in den Primaries unterstützt hat. Der Republikaner behauptet, dass es weitreichenden Wahlbetrug 2020 gegeben hat und dies bestmöglich untersucht werden müsse. Ebenso suggeriert er, dass Mark Zuckerberg Stimmen gekauft habe und so die Präsidentschaftswahl entscheidend beeinflusst habe. Damit bedient er die sog. Big Tech-Verschwörungstheorie, nach der Unternehmen wie Facebook Trump die Wahl gestohlen hätten.
Der in Ohio geborene Vance ist zudem Autor des Romans Hillbilly Elegie, der 2020 verfilmt wurde. Die Generationen-Geschichte handelt von einer weißen Arbeiterfamilie der Unterschicht, die Mitte des 20. Jahrhunderts von Kentucky nach Ohio zieht um dort den amerikanischen Traum zu leben. Der in den 90er Jahren verstärkte industrielle Niedergang wirkt bis heute nach. Mit dieser Geschichte trifft Vance zweifelsohne das Lebensgefühl und den Nerv vieler Menschen im Rust Belt, was ihm Bekanntheit und öffentliche Anerkennung beschert hat.
Tim Ryan - 20 Jahre Politik für Ohio
Bei den Demokraten hat sich Tim Ryan bei den Vorwahlen durchgesetzt. Der 49-Jährige gewann mit fast 70 % und hat damit offensichtlich eine bessere interne Ausgangsposition als es Vance bei den Republikanern hat.
Tim Ryan by Gage Skidmore |
Ryan vertritt seit fast 20 Jahren seine Wahlbezirke in Ohio im US-Repräsentantenhaus. Nach der Wahl 2016 forderte Ryan die damalige Minderheitenführerin Nancy Pelosi heraus unterlag jedoch mit 63 zu 134 Stimmen. 2019 bewarb er für etwa ein halbes Jahr für die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten, zog sich aber frühzeitig noch vor Beginn der Vorwahlen aus dem Rennen zurück und unterstützte später Joe Biden. Während der aktuellen Wahlperiode steht Ryan politisch vollkommen loyal an der Seite des US-Präsidenten. Bei allen Abstimmungen votierte der Demokrat entsprechend der politischen Haltung Bidens.
Vergleicht man also die beiden Kandidaten kann man durchaus festhalten, dass Ryan bezogen auf die Voraussetzungen des internen Rückhalts und auch hinsichtlich seiner politischen Verwurzelung in Ohio einen kleinen Vorsprung vor J.D. Vance hat. Zudem neigte Ohio zuletzt auch nicht unbedingt zu extrem rechten, konservativen oder populistischen Kandidaten der Republikaner, was in Hinblick auf Trumps starke Ergebnisse etwas widersprüchlich zu sein scheint. Sowohl der nun scheidende Senator Portman als auch der langjährige Gouverneur John Kasich gehören dem moderaten Flügel der GOP an.
Aktuelle Umfragen
Bleibt noch der Blick auf die aktuellen Umfragen. Hier sehen aktuell zwei Umfrageinstitute einen kleinen Vorsprung für den Republikaner Vance. Emerson sieht Vance 3 % vor Ryan, bei der Trafalgar Group führt der Republikaner mit 5 %.
Die Umfrageinstitute lagen jedoch bei den Präsidentschaftswahlen für den Bundesstaat Ohio überdurchschnittlich daneben. Die Demokraten wurden jeweils deutlich besser eingeschätzt. 2016 wurde Trump ein Vorsprung von durchschnittlich rund 4,5 % und 2020 von 1,5 % prognostiziert. Tendenziell erzielten die Republikaner in Ohio also deutlich bessere Ergebnisse als die Umfragen vorhergesagt haben.
Der nun nicht wieder kandidierende Portman hatte bei seiner Wiederwahl im Jahr 2016 über 20 % Vorsprung erzielen können, was wiederum verdeutlicht, wie wichtig ein Amtsinhaberbonus werden kann, der dieses Jahr insbesondere J.D. Vance fehlt.
Fazit
Ich sehe den Republikaner Vance als Favoriten. Die Wählerstruktur in Ohio spricht für ihn, die Stimmungslage im Land tendiert noch nicht weit genug in Richtung der Demokraten und die Umfragen bestätigen diese Eindrücke.
Aber anders als in traditionellen republikanischen Hochburgen können die Demokraten mit dem richtigen Kandidaten bei einer noch weiter veränderten Stimmungslage eine Gefahr für die Republikaner und deren Sitz im US-Senat darstellen. Grundsätzlich kann Ryan ein solcher Kandidat werden, wenn er seine Popularität während des Wahlkampfs noch weiter steigert. Die politische Stimmung ist in Bewegung. Chancenlos ist der Demokrat also nicht.