Kurzer Rückblick auf den Wahlkampf
Ein ungewöhnlicher Wahlkampf in den USA geht zu Ende. Vor 19 Monaten verkündete der frühere Vizepräsident Joe Biden seine Kandidatur für die Demokraten und war sofort der Favorit für die Vorwahlen. Nicht zuletzt, weil ihm die besten Chancen eingeräumt wurden, Donald Trump zu schlagen. Den Auftakt der Vorwahlen setzte Biden zunächst in den Sand. In Iowa und New Hampshire gab es für ihn schwere Niederlagen. Andere Demokraten wie Bernie Sanders, Pete Buttigieg, Amy Klobuchar und Elizabeth Warren bestimmten die Schlagzeilen bis in South Carolina für Biden die Wende kam. Am Super Tuesday war dann schon erkennbar, dass Biden nicht mehr aufzuhalten war, auch nicht vom Last-Minute-Kandidaten Michael Bloomberg.
Die Coronakrise beherrschte fortan den Wahlkampf. Zahlreiche Vorwahlen wurden verschoben und auch der Wahlkampf zwischen Donald Trump und Joe Biden sah lange Zeit anders aus, als man es gewohnt war. Die großen Massenevents kamen insbesondere erst in den letzten Wochen zurück, nachdem sich Trump entschied, die Bilder des Jahres 2016 erneut liefern zu wollen. Biden dagegen beschränkte sich weitgehend auf Studioauftritte oder sog. Drive-In-Veranstaltungen. Ein anderes Auftreten des Demokraten hätte seine Haltung zur Coronakrise unglaubwürdig gemacht. Nie wurde mehr Geld in den Wahlkampf investiert, wie zu dieser Präsidentschaftswahl. Letzte Schätzungen nannten die Summe von 14 Mrd. US-Dollar. In den letzten Tagen fokussierte sich der Wahlkampf immer mehr auf Pennsylvania und Florida.
Neben der Coronakrise und den damit verbundenen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen für die Menschen in den USA, waren auch die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt prägend für diesen Wahlkampf. Donald Trump positionierte sich als Law-and-Order Präsident, während Biden auf verbale Deeskalation setzte. Der Demokrat versuchte aber immer wieder das Krisenmanagement Trumps während der Pandemie in den Fokus zu rücken. Andere klassische Wahlkampfthemen wie Einwanderung oder Waffengesetze gerieten in den Hintergrund.
Biden ernannte im Spätsommer 2020 Kamala Harris zu seiner Vizekandidatin. Zwei statt drei TV-Debatten waren Highlights der direkten Konfrontation zwischen Trump und Biden, getrennt durch die Coronaerkrankung des Präsidenten. Prägend war auch der fortwährende Widerstand Trumps gegen die allgemeine Briefwahl, verbunden mit Vorwürfen der Wahlfälschung. Zahlreiche Klagen gegen die Wahlgesetzte der einzelnen Bundesstaaten folgten und werden im Zusammenhang mit den Auszählungen auch noch folgen.
Rekordzahlen beim Early Voting
Am Ende, kurz vor der Wahl haben über 93 Mio US-Amerikaner von der Möglichkeit des Early Voting Gebrauch gemacht, so viele, wie nie zuvor. Dies entspricht rund 68 % der Wahlbeteiligung aus dem Jahr 2016. Wie viele Menschen nun noch am Wahltag ihre Stimme abgeben ist unklar und eine der wichtigsten Unsicherheiten bzgl. einer Einschätzung, wer die Wahl gewinnen wird. In Texas, dieses Jahr ein offener Bundesstaat, hat das Early Voting bereits die Gesamtwahlbeteiligung aus 2016 deutlich übertroffen.
Umfragen sehen keinen sicheren Sieger, aber einen Favoriten
Die durchschnittlichen Umfragen zeigen am Tag vor der Wahl ein Rennen, dass Joe Biden in einer komfortableren Ausgangsposition sieht. Ihm werden deutlich mehr Wahlmännerstimmen als sicher oder wahrscheinlich zugeschrieben. An die erforderlichen 270 Stimmen kommt er damit aber noch nicht heran. Donald Trump muss auf ein sehr starkes Finish hoffen, er muss nahezu alle offenen Bundesstaaten gewinnen.
Die Ausgangslage für Trump ist dabei schwieriger als es vor der Wahl 2016 war. Aber dennoch und das muss ausdrücklich gesagt werden, ein Sieg für Trump ist möglich und die Umfragen lassen genügend Spielraum für ein solches Szenario.
Berücksichtigt man die durchschnittlichen Umfragen der vergangenen zwei Wochen so kann Joe Biden wahrscheinlich bis sicher mit 252 Wahlmännerstimmen rechnen. Hierbei nehme ich an, dass Biden den Bundesstaat Minnesota halten und Michigan und Wisconsin (hellblau) von den Republikanern zurückerobern kann. In allen drei Bundesstaaten liegt er in den Umfragen zwischen 7% und 8% vor dem Präsidenten. Donald Trump kommt zunächst auf 125 Wahlmännerstimmen. In der folgenden Karte ist die Ausgangslage einen Tag vor Wahl dargestellt. Die grauen Bundesstaaten gelten als offen. Blau für Biden, rot für Trump.
Karte 1 (aktueller Stand nach Umfragen)
Fehlerspanne der Umfragen in offenen Bundesstaaten beachten
Die Fehlerspanne von Umfragen muss zwingend bei einer Einschätzung berücksichtigt werden. Im Schnitt haben Umfragen eine Fehlerspanne von etwa 4%. Dies bezieht sich aber auf jeden einzelnen ermittelten Wert.
Beispiel:
- Umfrage A: Biden vs Trump 50% zu 50%, Fehlerspanne 4%
- Die Umfrage besagt, dass auch ein Ergebnis 54 % zu 46 % ausgehen kann. Also 8 Prozentpunkte Unterschied im Gegensatz zu den angegebenen 0%.
- Liegt Biden etwa bei einer Umfrage B bei 53% und Trump bei 46% wäre bei einer Fehlerspanne von 4% demnach auch ein Ergebnis möglich, dass Trump mit 1% also 50 zu 49 gewinnen lässt.
Ich bewerte das daher normalerweise so, dass ein Kandidat einen Bundesstaat erst ab einem Vorsprung von mindestens 8,5 % in den Umfragen "sicher" zugeordnet werden kann.
Abweichungen, bei denen die Fehlerspanne voll ausgereizt wird, sind eher die Ausnahmen, insbesondere dann, wenn sehr viele Umfragen in die durchschnittlichen Werte eingerechnet werden. Aus diesem Grund kann auch gesagt werden, dass ein Vorsprung zwischen 6 und 8,5% ausreichend ist, um einen Bundesstaat einem Kandidaten "wahrscheinlich" zuzuordnen.
Für die Vorschau auf die Wahlnacht bedeutet dies nun Folgendes:
Knappe Wahlausgänge könne großen Unterschied ausmachen
Zunächst stelle ich zwei extreme Modelle dar, die die Electoral Map jeweils voll in die Richtung eines Kandidaten ausschlagen lassen. Alle nun folgenden Modelle basieren auf der Annahme, dass Joe Biden Michigan, Wisconsin und Minnesota gewinnt, was die durchschnittlichen Umfragen als "wahrscheinlich" vermuten lassen. Diese drei Bundesstaaten bleiben in der Karte hellblau.
Gewinnt Donald Trump also alle als "offen" eingeschätzten Bundesstaaten, hätte er die nötige Mehrheit für eine zweite Amtszeit zusammen. Er käme auf 286 Wahlmännerstimmen.
Karte 2 (wenn Trump alle offenen Bundesstaaten gewinnt)
Gewinnt Joe Biden dagegen alle offenen Bundesstaaten käme er auf 413 Wahlmännerstimmen.
Karte 3 (wenn Biden alle offenen Bundesstaaten gewinnt)
Beide Karten stellen wie erwähnt die Wahlausgänge dar, wenn die Wahlnacht jeweils eindeutig in die eine oder andere Richtung geht. Erfahrungsgemäß liegt das tatsächliche Wahrergebnis irgendwo dazwischen.
Vier Must-Win-States für Trump
Verschiedene Bundesstaaten können zum Erfolg führen
Gehen wir also von der Annahme aus, dass die Wahlergebnisse so eintreten wie in Karte 1 vermutet und zusätzlich in Karte 4 vorausgesetzt, ergeben sich für Donald Trump fünf Wege zum Gesamtsieg. Die jeweiligen Siegkombinationen zeigen die Bundesstaaten, die er mindestens zusätzlich zu seinen Must-Win-States gewinnen muss.
Letzter Stand der Umfragen
Die Umfragen werden HIER nochmal laufend am 02.11.2020 aktualisiert.
Third Party Candidates chancenlos
Die Kandidaten der anderen Parteien werden sich erwartungsgemäß keine Chancen auf Wahlmännerstimmen ausrechnen können. Jo Jorgensen von der Libertarian Party und Howie Hawkins von der Green Party werden vermutlich auch schwächer abschneiden als Gary Johnson und Jill Stein 2016.
Auch der Kongress setzt sich neu zusammen
Nicht zu vergessen sind auch die Kongresswahlen. Am Dienstag wird das Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt. Während im "House" die Demokraten wohl weiterhin mit einer Mehrheit rechnen können, dürfte es im "Senate" ein äußerst knappes Rennen geben. Hier wollen die Republikaner ihre knappe Mehrheit verteidigen, was laut Umfragen eine große Herausforderung werden wird.
Live-Blog ab Dienstagabend
Ab Dienstag findet Ihr hier im Live-Blog alle wichtigen Informationen zum Verlauf des Wahltags, eine Übersicht über den aktuellen Stand der gewonnen Bundesstaaten und natürlich die fortlaufenden Zwischenergebnisse aus allen relevanten Battleground States. In etwa ab Mitternacht kommen erste Ergebnisse, ab 01:00 folgen die ersten wichtigen Bundesstaaten. In den folgenden Stunden wird aus 50 grauen Bundesstaaten + Washington D.C. eine blau-rote Karte. Es ist derzeit nicht absehbar, wann eine Entscheidung gefallen ist. Die Auszählungen können sich bis weit in den Mittwoch hineinziehen.
moin,
AntwortenLöschenganz schlimm was du hier machst thomas, wieder spekulierst du das die schwarte kracht!!
hätte, wäre, wenn, dann, das ganze wirkt extrem unseriös, es führt zu nichts und bringt niemanden der hier mitliest irgendwie weiter!
das sagt dir hägar
Darum geht es in dem Artikel, was passiert wenn. Es ist keine Wertung enthalten, es sind mathematische Tatsachen. Danke für den Überblick!
AntwortenLöschenHäher, da darf ich absolut widersprechen. Für mich als interessierte in dieser Wahl sind die hier dargestellten Informationen absolut bereichernd. Selbstverständlich kann man im Vorfeld nur mit Annahmen und Wahrscheinlichkeiten arbeiten. Diese sind jedoch immer ausdrücklich hervorgehoben und es ist klar erkennbar auf welchen Grundlagen diese sich beziehen. Mehr Transparenz und Seriosität muss man erst mal finden. Also bitte weiter so und vielen Dank für diesen wunderbaren Blog !
AntwortenLöschenHäher, da darf ich absolut widersprechen. Für mich als interessierte in dieser Wahl sind die hier dargestellten Informationen absolut bereichernd. Selbstverständlich kann man im Vorfeld nur mit Annahmen und Wahrscheinlichkeiten arbeiten. Diese sind jedoch immer ausdrücklich hervorgehoben und es ist klar erkennbar auf welchen Grundlagen diese sich beziehen. Mehr Transparenz und Seriosität muss man erst mal finden. Also bitte weiter so und vielen Dank für diesen wunderbaren Blog !
AntwortenLöschenFür mich ebenfalls sehr interessant. Du formulierst es absolut super und transparent. Keine Ideologie, keine subjektive Beeinflussung, sondern neutrale Fakten. Weiter so und ich freu mich schon auf den Live Ticker.
AntwortenLöschenHey Thomas, ich denke du solltest aber nicht nur die momentanen Umfragen berücksichtigen, sondern auch die Ergebnise von 2016. 2016 waren die Umfragen in Texas auch knapp und Trump hat trotzdem mit 9% gewonnen, ich denke er wird Texas auch dieses mal gewinnen, nur halt mit etwas weniger Vorsprung. Dafür wird er in Nevada sicher keine Chance haben... Also ich persönlich orientiere mich an momentanen Umfragen und den Ergebnisen von 2016
AntwortenLöschenIch schließe mich @Sören, @Stephan und @Ed in ihren Positionen und dem Dank an.
AntwortenLöschenWir sollten bei allen legitimen und nun mal auch nötigen Wahrscheinlichkeitseinschätzungen auch nicht übersehen, daß aktuell ca. 93 Millionen (Tendenz steigend) Amerikaner*innen bereits per Briefwahl oder Early Voting abgestimmt haben oder das noch tun werden. Damit ist die Beteiligung im dirketen Vergleich zu 2016 schon um weit mehr als die Hälfte überschritten. Und das trotz vieler komplizierter Hindernisse
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-10/briefwahl-usa-us-wahlkampf-betrug-early-voting-wahlbeteiligung-hindernisse/seite-2
Interessanter Aspekt für mich auch, daß selbst (konservative) Richter z.B. in Nevada und für
verschiedene Bundesstaaten ausdrücklich das Recht auf Briefwahl bestätigt haben :
https://www.tagesschau.de/ausland/usa-briefwahl-107.html
Sogar in Texas wegen sogenannter "Drive-Through"-Abstimmungen :
https://www.tagesschau.de/ausland/uswahl2020/texas-wahlstimmen-103.html
Die meiner Meinung nach beste deutschsprachige Quelle zur US Wahl! Danke für diesen außergewöhnlich guten Blog
AntwortenLöschenAn die ganzen dummnasen hier, die Wahrscheinlichkeiten und schätzungen verteidigen!
AntwortenLöschenEs bringt dem geneigten Leser absolut überhaupt nichts ein, wenn vor einer wahl permanent im konjunktiv geschrieben wird, hätte, wäre, wenn!! ich sags noch deutlicher:
wenn das wörtchen wenn nicht wär, dann wär mein opa millionär. oder hätte,hätte fahrradkette.
Übrigens, Spekulationen über wahlausgänge ändern überhaupt nichts am ergebnis auf das wir alle geduldig warten müssen, sie verwirren nur!!
Es gibt speziell bei dieser wahl so viele unwägbarkeiten, dass man da nicht dauernd noch von allen seiten noch Öl ins Feuer gießen sollte und die menschen zusätzlich blöd macht und verwirrt, darum geht es mir !!
Warum musst du Menschen die anderer Meinung sind als du als "Dummnasen" beleidigen?
LöschenFindest du nicht das es besser ist respektvoll und sachlich miteinander zu reden?
Aus deinem Text spricht Wut und die kommt doch wohl nicht daher das ein Blogger, der in seinem Blog schreiben kann was er will, einen deiner Meinumg nach Unnötigen Artikel verfasst. Du müsstest ihn ja nicht lesen. Geh in dich und denk darüber nach was dich so wütend macht und überleg dir wie du damit umgehen kannst. Ich wünsche dir alles Gute und das du einen Weg der Ausgeglichenheit findest.
Ich halte diese Berichterstattung hier für sehr wertvoll, gerade wenn ich an 2016 zurückdenke. In den großen Medien gewann man oft den Eindruck, die Wahl wäre eine ausgemachte Sache für Clinton gewesen. Hier auf dem Blog wurde kurz vor der Wahl noch sehr gut dargestellt, warum Trump durchaus realistische Chancen auf den Sieg hat. So etwas hilft Leuten, die Situation besser einschätzen zu können. Darum kann ich Hägars Kritik nicht nachvollziehen.
AntwortenLöschen@Unknown woher hast du die Information, dass die Umfragen 2016 in Texas knapp gewesen wären? Soweit ich das sehe, haben die Umfragen damals einen ziemlich klaren Sieg von Donald Trump vorhergesagt. Zum Vergleich: vor vier Jahren hat FiveThirtyEight Trumps Chancen in Texas auf 94% geschätzt, dieses Jahr sind es 62%. Persönlich kann ich mir nicht vorstellen, dass Texas dieses Jahr an die Demokraten geht, aber es ist in jedem Fall wahrscheinlicher als noch vor vier Jahren.
@Hägar Nicht, dass ich mich jetzt mit "Dummnasen" angesprochen fühlen würde, aber n i e m a n d hat hier " Spekulationen " verbreitet, die nicht belegbar sind.
AntwortenLöschenEs geht vielmehr um Wahrscheinlichkeiten und Tendenzen, aus denen sich dann nach und nach ein Gesamtbild ergeben kann. Seriös kann keiner aktuell 5 Stunden nach Wahlbeginn derzeit Details nennen.
Aber: ich finde es schon hochinteressant und spannend, dass Stand jetzt ca. 98 Mio. Wähler*innen bereits im Vorfeld abgestimmt haben, daß sind ca. 70 % mehr als im Vergleich zu 2016 ;-) ! :
https://www.tagesschau.de/ausland/uswahl2020/uswahl2020-113.html
Apropos " Öl ins Feuer gießen " , lieber Hägar. Ich kennen nur einen, der das permanent seit vier Jahren tut. Zuletzt mit Anzweifeln der Legitimation der Briefwahlen oder Early Voting bzw. generell was seine Fans angeht: https://web.de/magazine/politik/wahlen/us-wahl/us-wahl-2020-live-ticker-vorzeitig-sieg-verkuenden-us-praesident-trump-aeussert-kryptisch-35175830#.homepage.hero.Trump bleibt uneindeutig.1
Also: Keep calm and cool down :-) !