Donnerstag, 21. November 2019

Gewinner und Verlierer der 5. TV-Debatte der Demokraten

Um eine Bewertung der 5. TV-Debatte der Demokraten in Atlanta, Georgia, vorzunehmen, reicht es nicht nur aus, die Auftritte der Kandidatinnen und Kandidaten einzeln für sich zu betrachten. Rund 10 Wochen vor dem Vorwahlauftakt in Iowa müssen die Auftritte immer auch im Zusammenhang mit der jeweiligen Ausgangslage gesehen werden. Wer muss aufholen, wer muss sich verteidigen, wer muss Defizite ablegen usw.
Aus diesem Grund hatte ich im Vorfeld der Debatte vier wesentliche Fragestellungen aufgeworfen, die ich nun noch einmal aufgreifen möchte.

1. Wie geht Pete Buttigieg mit seiner neuen Rolle um, kann er dem Druck der Konkurrenz standhalten?
2. Kann Joe Biden Zweiflern und Kritikern an seinem Wahlkampf den Wind aus den Segeln nehmen?
3. Hält der unausgesprochene Nichtangriffspakt zwischen Elizabeth Warren und Bernie Sanders?
4. Wer kann aus der zweiten und dritten Reihe die möglicherweise letzte Chance nutzen und zum Sprung zum Spitzenquartett ansetzen?

Betrachtet man den Abend insgesamt, ist zunächst festzustellen, dass es schon spannendere TV-Nächte gegeben hat. Ein Zehner-Kandidatenfeld ist zu groß, um wirklich ins Detail zu gehen und Kontroversen auszufechten. Wenn dieses Kandidatenfeld dann auch noch immer wieder mit Einzelfragen konfrontiert wird, ohne, dass es dabei offensichtliche inhaltliche Unterschiede ausdiskutieren kann, wird es für die Zuschauer schon mal etwas langatmig. Umso herausragender sind dann die Momente, in denen die Bewerberinnen und Bewerber doch mal aufeinander eingehen. Augenblicke, die auch den zusehenden Wählerinnen und Wählern in Erinnerung bleiben. Einige Demokraten haben dies auch für sich zu nutzen gewusst.


1. Pete Buttigieg geht gestärkt und unbeschadet aus dem Abend hervor


Pete Buttigieg
Pete Buttigieg by Gage Skidmore
Pete Buttigieg kann durchaus als ein Gewinner des Abends betrachtet werden. Gemessen an der Frage, wie er mit dem neuen Druck umging, ist die Antwort eindeutig: er ging unbeschadet aus dieser TV-Debatte hervor. Das lag aber weniger an seiner eigenen Performance, die zwar auch gewohnt solide und gut war, vielmehr blieben einfach die Angriffe seiner Konkurrenz aus. Buttigieg ist der Kandidat, der momentan den größten Aufwind verspürt und in den Umfragen für Iowa und New Hampshire nach ganz vorne prescht. Und doch ließ man ihn fast komplett in Ruhe sein Programm abspulen. Wenn die Taktik war, Buttigieg durch Ignorieren weniger Redezeit zu gewähren, so ist sie fehlgeschlagen. Nur Elizabeth Warren hatte knapp mehr Redezeit als der Bürgermeister von South Bend, Indiana.

Es gab nur wenige Versuche, etwa von Tulsi Gabbard und Amy Klobuchar, die dann doch auf die geringe bundespolitische Erfahrung des 37-jährigen Buttigieg abzielten. Der aber nutzte diese vermeintliche Schwäche, um den Spieß umzudrehen. Er zeichnete ein Bild, das auch eine Schwäche Hillary Clintons gegen Donald Trump 2016 ausmachte. Buttigieg zielte auf den Zuspruch vieler Klein- bzw. Vorstädter ab, den Donald Trump erhielt und schlug den Bogen zum politischen Machtzentrum der USA, nach Washington D.C. Häufig würde man aus der Sicht Washingtons in das kleine South Bend blicken, was hier nur symbolisch für die bürgernahe Kommunalpolitik angeführt wird. Buttigieg sprach in diesem Moment all jene an, die aus der pragmatischen alltäglichen Sicht der Bürgerinnen und Bürger der USA mit Abneigung auf politische Machtspielchen zwischen den Parteien im Kongress nach Washington blicken. Aus deren Sicht, sei Washington D.C. klein bzw. von geringer Bedeutung. Es war eine kluge Umkehr der Sichtweise, die zwar vermutlich nicht diejenigen überzeugen konnte, die sich an seiner geringen Erfahrung stören. Jenen, die sich gedanklich nicht mit dem politischen Washington identifizieren können, sprach Buttigieg aber aus den Herzen. Und das sind auch zum Teil die Wählerinnen und Wähler, die 2016 genau aus diesem Grund auch nicht Hillary Clinton, sondern Donald Trump wählten.
Buttigieg griff diese Strategie auch im Ansatz nochmal in seinem Schlussstatement auf. Es war zugleich eine forsche Herausforderung an das Spitzentrio, ohne es namentlich zu nennen. Pete Buttigieg wolle ein Angebot sowohl für progressive als auch moderate Demokraten machen, was insgesamt aber auch geeignet ist, moderate Republikaner anzusprechen, die sich nicht mehr heimisch in ihrer Partei unter Trump fühlen und die, wie Buttigieg vermutete, auch diese TV-Debatte der Demokraten verfolgten.

Es war für Buttigieg wieder ein weiterer Schritt nach vorne. Will er aber auch tatsächlich ernsthafte Chancen auf die Nominierung haben, muss er seine Bekanntheit in den großen bedeutenden Bundesstaaten spätestens bis Anfang März zum Super Tuesday deutlich steigern. Er wird Gelegenheit dazu bekommen.


2. Joe Bidens Performance erneut nicht optimal


Joe Biden
Joe Biden by Gage Skidmore
Für Joe Biden war es ein klassischer Auftritt, wie man ihn schon häufig von ihm gesehen hat und genau das ist auch das Problem. Es war kein fürchterlicher Abend für ihn, aber er wollte und sollte doch, das unterstelle ich jetzt einfach mal, den nicht enden wollenden Debatten um seine Performance im Wahlkampf einen Riegel vorschieben. Angesichts der Kandidatur von Deval Patrick und den Ambitionen Michael Bloombergs musste es eben das Ziel sein, eine so starke Antwort zu geben, dass sich der moderate Flügel und das Establishment der Demokraten geschlossen hinter ihm vereinen. Und das ist Joe Biden erneut nicht gelungen. Zwar zeigte er wiederholt auf, welch große Erfahrung er mit in diese Kandidatur bringt und konnte auch fachlich überzeugen. Dennoch unterliefen ihm wieder und wieder kleine Fehler bei der Wortwahl oder er verhaspelte sich etwas in seinen Ausführungen. Das ist für sich genommen nicht schlimm, dennoch nährte es eben wieder die Zweifel, die es in den vergangenen Wochen und Monaten an seinen Auftritten gegeben hat. Ein besonderes Beispiel dafür lieferte er, als er behauptete, dass die "einzige" schwarze Senatorin im Kongress ihn unterstütze. Er meinte damit Carol Moseley Braun. So weit, so gut, aber letztlich nicht richtig. Denn nicht weit neben ihm stand mit Kamala Harris eine weitere schwarze Senatorin direkt auf der Bühne. Biden korrigierte sich selbst und hob hervor, dass er sagen wollte, die "erste" schwarze Senatorin unterstütze ihn. Wie gesagt, alles keine inhaltlichen Aussetzer oder Verfehlungen, die man ihm übel nimmt, aber die Befürchtungen, dass er sich im Duell mit Donald Trump ähnliche Versprecher leisten könnte, blieben bestehen.
War Joe Biden deshalb ein Verlierer des Abends? Ja, weil er sich nicht verbessern konnte und Alternativen zu ihm, wie etwa Pete Buttigieg oder Amy Klobuchar zu viel Raum ließ. Dennoch hat er auch keine so schlechte Leistung abgegeben, die nun seine Unterstützer davonlaufen lässt. Für Joe Biden wäre es wichtig, wenn die Vorwahlen möglicht bald begännen. Ergebnisse, die in vielen Bundesstaaten zeigen, dass er die Nr. 1 ist. Sein Format sind die TV-Debatten nicht. Kleinere persönlichere Auftritte liegen ihm einfach mehr.


3. Nichtangriffspakt zwischen Warren und Sanders hält


Für Elizabeth Warren und Bernie Sanders war es ein Abend, wie schon viele andere zuvor. Von beiden erfuhr man nichts Neues. Sie hatten solide Auftritte, erfüllten die Erwartungen ihrer Fans. Nein, gegenseitige Angriffe gab es nicht, kaum auch mal inhaltliche Angriffe auf die Konkurrenz. Bernie Sanders schob einmal die Bemerkung ein, dass, anders als er selbst, Joe Biden für den Irak-Krieg gestimmt hätte. Das war es dann aber auch schon. Die üblichen inhaltlichen Differenzen wurden aufgrund der Debattenführung durch die vier Moderatorinnen nicht so stark deutlich, wie bei den vorigen TV-Auftritten. An der Ausgangslage hat sich für Warren und Sanders nichts geändert. Sie sind und werden auch die Wahl des linken Flügels bleiben. Die Frage, wie sie dort miteinander auskommen werden, haben sie erneut vertagt. Andere Kandidatinnen und Kandidaten werden ihnen das Feld auf der linken demokratischen Seite nicht mehr streitig machen. Aber das war auch vorher schon klar. Verpasst haben beide die Chance, Pete Buttigieg klein zu halten. Sie ließen ihn gewähren. Vielleicht ist es ihnen ganz recht, dass Joe Biden einen Konkurrenten hat, der ihm Stimmen abnehmen könnte. Sie dürfen aber nicht übersehen, dass auch sie Stimmen an Buttigieg verlieren könnten. Und nur in wenigen Bundesstaaten liegen Warren und Sanders so deutlich über der 15%-Hürde, dass sie sich über leichte Stimmenverluste keine Sorgen machen müssten. 15% sind erforderlich, um Delegiertenstimmen in den Vorwahlen zu gewinnen.


4. Klobuchar stark, Yang bemerkenswert, Gabbard ein Fremdkörper


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Amy Klobuchar by Lorie Shaull
Von den Plätzen 4-10 konnten sich insbesondere zwei Demokraten in den Vordergrund debattieren. Vor allem Amy Klobuchar hat erneut ihre Chance genutzt. Sie verstand es, auch das Publikum in Atlanta auf ihre Seite zu bringen. Zu Beginn forderte sie eine automatische Wahlberechtigung ab 18 Jahren und damit die Abschaffung der vielen und verschiedenen Registrierungen. Diese Registrierungen, der Einfluss von externem Geld und das sog. Gerrymandering, also das strategische Verschieben von Wahlkreisgrenzen, hätten dazu geführt, dass Stacey Abrams 2018 nicht zur Gouverneurin von Georgia gewählt worden sei. Das kam bei den Demokraten in Atlanta natürlich gut an und traf auch den Nerv der Parteibasis. 
An einigen Stellen gelang es der Senatorin aus Minnesota auch humorvolle Pointen zu platzieren. Viel wichtiger aber waren die gelungenen One-Liner. Beispielsweise behauptete sie, wer meine, dass es eine Frau nicht mit Donald Trump aufnehmen könne, liege falsch, da es Nancy Pelosi jeden Tag schaffe. Auch hier war ihr die Zustimmung aus dem Saal sicher. Das sind alles keine tiefgründigen Argumente, aber bei Themen, die meist ohnehin alle Kandidatinnen und Kandidaten unterstützen, kommt es darauf an, entweder besonders glaubwürdig zu sein oder eben die Themen einprägsam zu platzieren. Das ist Amy Klobuchar an diesem Abend gelungen.
Anders als Yang, Booker, Steyer, Gabbard usw. hat Klobuchar bereits die Qualifikation zur Dezember-Debatte in Los Angeles erreicht. Ihr Auftritt in Atlanta war ausreichend stark, um vermutlich den Weg bis zum Iowa Caucus beschreiten zu können.


Andrew Yang by Gage Skidmore
Andrew Yang by Gage Skidmore
Erwähnenswert war auch der Auftritt von Andrew Yang. Gewohnt kurz aber präzise in seinen Ausführungen, bot Yang einmal mehr etwas an, was den Demokraten in Teilen fehlt. Yangs Themensetzung ist eine Bereicherung für die demokratische Partei. Er selbst sagt, dass er Zukunftsthemen in die Diskussion bringt, auf die viele Politiker keine Antwort hätten und sie deshalb auch gar nicht diskutierten. Dabei führt er beispielsweise den Umgang mit Daten als neue Ressource an. Auch sein universelles Grundeinkommen ist nichts, was die Demokraten bereits ausdiskutiert haben. Yang gelingt es so immer wieder ein positives und zuversichtliches Zukunftsbild seiner Politik für die Demokraten zu zeichnen. Ein Alleinstellungsmerkmal, sowohl in Inhalt und Stil. Das führte dazu, dass er in diesem Wahlkampf bereits sehr viel weiter gekommen ist, als es viele erwartet hatten. Der Nachteil dabei ist, dass seine Visionen bei einem Großteil der Demokraten noch nicht verfängt. Die klassischen Brot-und-Butter-Themen fehlen bei Yang häufig, bzw. überspringt er sie, weil er nicht selten schon ein Schritt weiter zu sein scheint. Seine Expertise und seine Unterstützung könnten für die Spitzenkandidaten der Demokraten noch einmal sehr wertvoll werden. Yang könnte eine für "gewöhnliche" Kandidatinnen und Kandidaten kaum erreichbare Wählerschicht mobilisieren. Dass er selbst so stark werden könnte, um in das Rennen der demokratischen Präsidentschaftskandidatur entscheidend einzugreifen, halte ich für ausgeschlossen. Dafür fehlt ihm die Verankerung in der Partei und damit eben auch bei vielen Themen, die durch das übrige Bewerberfeld gesetzt werden. Insofern war der Auftritt von Yang ein Gewinn für die Demokraten, für ihn allein aber zu wenig, um seinen Wahlkampf nennenswert voranzutreiben.

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Tulsi Gabbard by Gage Skidmore
Eine Verliererin des Abends war Tulsi Gabbard. Die Kongressabgeordnete aus Hawaii hat zwar auch Alleinstellungsmerkmale herausgearbeitet, anders aber als bei Andrew Yang, gelingt es Gabbard nicht, diese mit einer positiven Botschaft zu vermitteln. Stattdessen stößt Gabbard der gesamten Partei vor den Kopf. Diese Demokraten, wie sie heute auftreten, seien nicht ihre Demokraten. Die Partei sei nicht für die Menschen da und vertrete sie auch nicht mehr. Die Militärindustrie und das außenpolitische Establishment um Hillary Clinton bestimmten das Erscheinungsbild der Demokraten. Als Präsidentin wolle sie die Regime-Change Außenpolitik von Bush, Clinton und Trump überwinden.
Tulsi Gabbard wirkt in diesem Wahlkampf wie ein Fremdkörper auf der Bühne der Demokraten. Natürlich darf sie ihre Meinung vertreten, auch wenn sie von denen anderer Kandidatinnen und Kandidaten erheblich abweicht. Dafür ist der Wettbewerb um die besten Positionen da. Es ist aber schon höchst fraglich, ob Gabbard eine mehrheitliche Zustimmung finden wird, indem sie die gesamte Partei häufig pauschal angreift und diskreditiert. Dies wird dazu führen, dass sie selbst eine sichere Basis von 2-4% in den Umfragen behält, diese aber ganz sicher nicht vergrößern wird. Schlimmer noch für die Demokraten: diese 2-4% könnte Gabbard sogar so weit vom übrigen Kandidatenfeld distanzieren, dass deren Zuspruch für den späteren Nominierten unerreichbar sein werden.

Besonders viel Gegenwind erfuhr Gabbard an diesem Abend von Kamala Harris. Harris hatte noch eine Rechnung mit Gabbard zu begleichen, nachdem diese Harris in einer früheren Debatte angriff und auf dem falschen Fuß erwischte. Ein Moment, der den Abschwung Harris in diesem Wahlkampf markierte.
Harris hob nun hervor, dass mit Gabbard eine Kandidatin auf der Bühne stehe, die über vier Jahre lang auf FoxNews die Politik Obamas kritisierte, den Kontakt zu Steve Bannon suchte, um sich mit dem Präsidenten im Trump-Tower zu treffen und sich zudem auch noch mit dem syrischen Machthaber Assad zusammensetzte. Dass eine solche Kandidatin im November vor den Vorwahlen noch immer auf der Bühne der TV-Debatten stünde, sei schon bemerkenswert.
Auch Pete Buttigieg schlug in die gleiche Kerbe. Er verfüge zwar nicht über Gabbards Erfahrung im Kongress, dafür habe er aber so viel politische Urteilskraft, sich nicht mit Assad zu treffen. Gabbard verwies darauf, dass sich auch frühere populäre Präsidenten mit ihren ärgsten politischen Feinden getroffen hätten, um Probleme zu lösen.
Gabbard machte ihre Punkte, es sind aber häufig nicht die Punkte der Partei gewesen.

Cory Booker ließ einmal aufhorchen, als er Joe Biden mit der Frage nach der Legalisierung von Marihuana konfrontierte. Biden würde dies ablehnen. Laut Booker sei dies aber eine Frage der Kriminalisierung des Marihuanakonsums. Der Konsum sei ein Privileg der Oberschicht. Andere würden völlig unnötig und unverhältnismäßig in die Mühlen der Justiz geraten. Damit versuchte Booker sich als Sprachrohr der "einfachen" Leute anzubieten und zugleich Bidens Haltung als elitär und nicht volksnah darzustellen.
Bei Tom Steyer blieb in Erinnerung, dass der Kampf gegen den Klimawandel bei ihm oberste Priorität habe. Für Booker und Steyer könnte es der letzte Auftritt bei einer TV-Debatte in diesem Wahlkampf gewesen sein.

Die nächste TV-Debatte findet in Los Angeles, Kalifornien, am 19. Dezember statt. Sie wird von PBS Newshour und Politico ausgestrahlt. Qualifiziert sind bereits Joe Biden, Elizabeth Warren, Bernie Sanders, Pete Buttigieg, Kamala Harris und Amy Klobuchar.

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