Vor vier Jahren war es das vorletzte Wochenende vor der Wahl als FBI-Direktor James Comey mitteilte, dass die Ermittlungen gegen Hillary Clinton wegen der sog. E-Mail-Affäre wieder aufgenommen würden. Es dauerte gut eine Woche bis die Entlastung Clintons folgte und das FBI die Entscheidung aus dem Sommer 2016 bestätigte und keine Anklage erhob. Sucht man aber nach einem Moment, der den von vielen Beobachtern nicht ernst genommenen Abschwung in den Umfragen Clintons in den letzten 10 Tagen vor der Wahl 2016 einleitete, bleibt dieses eine Wochenende in Erinnerung. Kann so etwas in diesem Jahr erneut passieren?
Die Republikaner und Donald Trump schöpfen nach der letzten TV-Debatte noch einmal Hoffnung. Sie begründet sich auf der Aussage Bidens, er wolle keine weiteren staatlichen Subventionen mehr in die US-Amerikanische Öl-Industrie geben und künftig auf erneuerbare Energien setzen. Der Präsident nutzte diese klare Aussage seines Herausforderers, um bei Wählerinnen und Wählern in Texas und Pennsylvania zu punkten. Bundesstaaten, in denen es bei dieser Frage um Geld und viele Arbeitsplätze geht.
Ob sich Trump hier zurecht Hoffnungen macht, ist zumindest fraglich. Denn wer eine positive Haltung zur Öl-Industrie als primäres Entscheidungskriterium für die Wahlentscheidung sieht, dürfte ohnehin davon überzeugt sein, dass man bei Donald Trump und den Republikanern auf der sicheren Seite ist. Dazu hätte es die Aussage Bidens nicht gebraucht. Einen besonderen Zugewinn an Stimmen dürfte hier nicht zu erwarten sein. Einen Motivationsschub träger Trump-Unterstützer ist allerdings schon möglich. Das gilt aber auch für jene, die möglicherweise schon länger auf eine klarere Haltung Bidens gegen fossile Brennstoffe gewartet haben. Einen Wendepunkt in diesem Wahlkampf sehe ich hier aber nicht, zumindest nicht so deutlich, wie es 2016 der Fall war.
Zudem ist die Basis, auf die Joe Biden aufbauen kann eine solidere, als sie Hillary Clinton hatte. Die Demokratin war nicht wesentlich beliebter als Donald Trump. Sie polarisierte weit mehr als Joe Biden. Auch aus diesem Grund versucht Donald Trump immer wieder, Biden als linke Bedrohung darzustellen, um eine ähnliche Stimmungslage gegen den Demokraten zu erzeugen. Hillary Clinton wurde in den Wochen vor der Wahl 2016 im Durchschnitt nur von 42% der Bevölkerung positiv gesehen, während 54% sie ablehnten (-12). Joe Biden wird derzeit von 50% befürwortet, während 45% ihn ablehnen (+5). Auch wenn sich Donald Trumps Werte in dieser Frage im Vergleich zu 2016 deutlich verbessert haben (von -21 auf -12), ist anzunehmen, dass ein Kandidat, der grundsätzlich eher positiv gesehen wird, weniger anfällig für die Angriffe seines Gegners ist.
Auch ein nicht unwesentlicher Punkt ist, dass bis heute mehr Wählerinnen und Wähler am Early Voting teilgenommen haben, als es insgesamt 2016 der Fall war. Knapp 60 Mio US-Amerikaner haben ihre Stimme bereits abgegeben. Auf sie haben sämtliche Entwicklungen der verbleibenden 9 Tage bis zur Wahl keine Auswirkungen mehr. Ca. 136,6 Mio hatten 2016 gewählt. Gemessen an der Gesamtwahlbeteiligung aus 2016 haben also bereits rund 44% ihre Stimme abgegeben.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Biden einen ähnlichen Abschwung in den Umfragen erleidet, wie Clinton 2016, schätze ich als eher gering ein. Nichtsdestotrotz sind in vielen Bundesstaaten die Rennen offen, auch wenn die Umfragen Biden zwischen 1% bis 4% vorne sehen, also innerhalb der durchschnittlichen Fehlertoleranz von Umfragen.
Trump hat mehr persönliche Wahlkampfauftritte - Biden mehr TV-Werbung
Donald Trump und Joe Biden haben am Wochenende viele wichtige Bundesstaaten bereist. Der US-Präsident startete am Freitag in Florida, wo er bei zwei Wahlkampfveranstaltungen in The Villages und Pensacola teilnahm. Beides sind Regionen, in denen Trump 2016 deutlich vor Clinton lag.
Am Samstag trat er dann in North Carolina, Ohio und Wisconsin auf. Am Sonntag reiste er nach New Hampshire und nach einem 90 Minuten Auftritt überraschend weiter nach Maine. Im äußersten Nordosten des Landes ging es in Levant in der Nähe der Stadt Bangor wohl nicht nur um die eine Wahlmännerstimme im Congressional District 2, sondern auch darum, Unterstützung bei der Wahl zum US-Senat zu geben. In Maine kämpft die Republikanerin Susan Collins gegen die Demokratin Sara Gideon um ihre Wiederwahl. Maine gilt als einer der wichtigsten Bundesstaaten, in denen die Demokraten von den Republikanern einen Sitz im eng umkämpften Rennen um die Mehrheit im US-Senat erobern wollen.
Joe Biden dagegen ist weit weniger unterwegs als der US-Präsident. Der Demokrat hatte am Samstag zwei Auftritte in Pennsylvania. Hier reiste er zusammen mit seiner Frau Jill nach Bucks County und Luzerne County. In letzterem hatte Trump 2016 stark abgeschnitten, bei den Kongresswahlen 2018 waren die Demokraten wieder vorne.
Am Dienstag wird Joe Biden nach Georgia reisen. Zwei Auftritte in Warm Springs und Atlanta sind geplant. Georgia ist aktuell einer der Bundesstaaten, mit dem geringsten Abstand in den Umfragen. Allerdings ist anzumerken, dass Georgia kein klassischer Swing State ist, was sich ggf. auch auf die Qualität der Umfragen auswirken kann, da es hier einfach weniger Erfahrung mit Meinungserhebungen bei Präsidentschaftswahlen gibt.
Mike Pence war am Sonntag in North Carolina unterwegs, während Kamala Harris in Michigan um Stimmen warb. Die Demokratin wird zudem am kommenden Freitag in Texas erwartet.
Während Donald Trump deutlich mehr die einzelnen Bundesstaaten besucht, sticht Joe Biden ihn beim Thema TV-Werbung aus. In den vergangenen zwei Monaten hat Trump laut CNN/CMAG in Florida, North Carolina und Pennsylvania rund 77 Mio US-Dollar in TV-Spots investiert. Im gleichem Zeitraum hat Biden in diesen drei Bundesstaaten mit rund 138 Mio US-Dollar fast doppelt so viel Geld ausgegeben.
Lohnt sich für Biden der Kampf um Texas?
Das Biden-Wahlkampfteam konzentriert sich auf die sechs Bundesstaaten Pennsylvania, Michigan, Wisconsin, Florida, Arizona und North Carolina. Man will den sicheren Weg gehen, auch wenn der Demokrat in weiteren Bundesstaaten nicht chancenlos ist. So werden auch Stimmen laut, nach denen Biden mehr Geld in Texas und Georgia investieren solle. Beto O'Rourke wünschte sich zudem, dass Biden auch persönlich in Texas auftreten würden. Laut jüngsten Umfragen wird hier mehr oder weniger überraschend ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet. So verlockend die 38 Wahlmännerstimmen aus Texas auch sind, die größeren Chancen dürfte Biden wohl in Georgia haben.
Mitte Oktober verfügte Bidens Wahlkampfteam nach eigenen Angaben noch um rund 162 Mio US-Dollar, während Trump noch 43 Mio US-Dollar hatte. Geld genug hätte Biden für ein Wahlkampffinale in Texas. Glückt ihm ein Coup im Lone Star State und landet er vor Trump, hätte der Präsident keine Chance mehr auf eine zweite Amtszeit. Ich vermute aber, dass Biden nicht mehr nennenswert in Texas investieren wird. Andere Wege zu den 270 Wahlmännerstimmen erscheinen vielversprechender zu sein.