Donnerstag, 8. September 2022

Georgia - Die republikanische Wunde wirkt bis heute nach

Update: 19.11.22

Stichwahl in Georgia zwischen Warnock und Walker


Am 06.12.2022 findet im Bundesstaat Georgia die Stichwahl um den letzten noch zu vergebenen Senatssitz statt.
Im neuen US-Senat verfügen die Demokraten über 50 und die Republikaner über 49 Sitze. Bei einem republikanischen Sieg könnte die Partei noch einen Patt erreichen. In einem solchen Fall entscheidet die sonst nicht stimmberechtige US-Vizepräsidentin mit ihrem Votum und sorgt so für eine Entscheidung. Da Kamala Harris Demokratin ist, können die Republikaner also mit einem Sieg keine strukturelle Stimmenmehrheit mehr erreichen. Dennoch ist der Ausgang dieser Wahl nicht unbedeutend.


Neben einigen formalen und zeitsparenden Vereinfachungen, die durch den Wegfall einer Entscheidung durch die Vizepräsidentin erzielt werden, geht es auch um Verhandlungsspielräume. Aktuell sind Bidens Demokraten darauf angewiesen, dass alle eigenen Senatorinnen und Senatoren mitstimmen. Abweichler oder sonstige Ausfälle können sich die Demokraten nicht leisten. Kämen sie künftig auf 51 Sitze, reduziert sich der Einfluss Einzelner. Insbesondere Joe Manchin aus West Virginia hatte in der Vergangenheit immer wieder eigene Interessen durchsetzen können, da er sonst seine Zustimmung zu Gesetzespaketen verweigerte.


Die Stichwahl in Georgia ist erforderlich geworden, da keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang auf 50 % der Stimmen kam. Der demokratische Senator Raphael Warnock erreichte 49,4 %, der republikanische Herausforderer Herschel Walker erreichte 48,5 %.
Chase Oliver von der Libertarian Party erhielt 2,1 % der Stimmen. Oliver ist nun ausgeschieden und erklärte danach gegenüber Newsweek, dass er sich weder für Warnock, noch Walker aussprechen werde. Er wolle, dass sich beide Kandidaten um die libertären Stimmen und derer unabhängiger Wählerinnen und Wähler bemühen.


2,1 % für Oliver sind etwa 81.000 Stimmen. Warnock und Walker kamen jeweils auf über 1,9 Mio Stimmen und lagen knapp 38.000 auseinander. Rein rechnerisch können also die freigewordenen Stimmen für Oliver nun die Entscheidung bringen. Anders als im Rank Choice Verfahren müssen aber gut 3,8 Mio Wählerinnen und Wähler von Warnock und Walker erneut zur Wahl gehen. Es dürfte also viel mehr auf die erneute Mobilisierung der Demokraten und Republikaner für diese Stichwahl ankommen, als auf das Werben der libertären Stimmen. 



Ursprünglicher Post vom 08.09.22

Bevor wir uns mit einer der spannendsten Wahlen bei den diesjährigen Midterm Elections befassen, blicken wir nochmal zurück. Es waren im Wahljahr 2020 die wohl schmerzlichsten Niederlagen der Republikaner. Georgia trug nicht nur maßgeblich dazu bei, dass Joe Biden neuer US-Präsident wurde, der Bundesstaat bescherte den Demokraten auch den angestrebten Machtwechsel im US-Senat. Ausnahmsweise standen beide Senatssitze zur Wahl und die Demokraten holten zwei Siege, die zum Patt in Washington führten. Und das alles im Herzen der Südstaaten, einer durch und durch republikanisch geprägten Region der USA.
Zwei Jahre zuvor waren bereits erste Anzeichen dafür zu erkennen, als die Demokratin Stacey Abrams bei der Gouverneurswahl nur knapp dem Republikaner Brian Kemp unterlegen war. In diesem Jahr kommt es übrigens zur Neuauflage dieser Wahl, bei der Kemp erneut leicht favorisiert ist.

Es waren aber nicht nur diese verlorenen Wahlen, die bis heute nachwirken. Allein der Umstand, dass die Niederlage Donald Trumps auch tatsächlich formal festgestellt wurde, beschäftigt viele Republikaner bis heute noch. Schließlich waren es der amtierende republikanische Gouverneur Brian Kemp sowie dessen für die Wahl verantwortliche Secretary of State Brad Raffensperger, ebenfalls Republikaner, die alles daran setzten, transparent und zweifelsfrei das korrekte Wahlergebnis festzustellen. Nach zwei händischen Neuauszählungen und diversen gescheiterten Klagen bekräftigten beide Republikaner weiterhin, dass es keinen entscheidenden Wahlbetrug gegeben habe und Joe Biden der rechtmäßige Sieger war.
Raffensperger war auch jener inzwischen prominente Telefongesprächspartner Donald Trumps, der von dem damals noch amtierenden Präsidenten vergeblich aufgefordert wurde, die fehlenden 11780 Stimmen zu "finden", die ihn zum Sieger gemacht hätten, exakt eine mehr als Biden tatsächlich gewonnen hatte. Raffensperger wies Trump darauf hin, dass er von falschen Daten ausgehe und nicht korrekt informiert werde. Trump wurde durch einen Mitarbeiter Raffenspergers weiter erklärt, dass keine Manipulationen von Wahlmaschinen festgestellt wurden. Trump blieb aber bei seiner Linie und erklärte beiden, dass es eine Straftat sei, sich an Wahlbetrug zu beteiligen. Den von der Washington Post veröffentlichen Mitschnitt des Telefonats findet Ihr am Ende dieses Artikels.*

Dass dieses Verhalten Raffenspergers nicht nur eine Frage der Verteidigung objektiver Fakten, sondern auch eine der verantwortlichen Haltung war, wurde in der folgenden Zeit bis heute nochmal deutlicher. Weiterhin behaupten viele Republikaner offenbar wider besseren Wissens, dass Joe Biden nur durch massiven Wahlbetrug ins Weiße Haus gekommen sei und Donald Trump feuert diese Debatten weiter an. Die Republikaner werden sich nach den Midterm Elections für einen klareren Weg entscheiden müssen. Schaffen sie es trotz einer für die Demokraten alles andere als guten politischen Stimmungslage nicht, die Mehrheiten im Kongress zu gewinnen, wird der interne Richtungsstreit ausbrechen und die Frage geklärt werden müssen, inwieweit der Einfluss und die Linie Trumps aktuell schaden. Können sich dagegen Trumps Kandidatinnen und Kandidaten in zahlreichen Wahlen durchsetzen und die Republikaner gehen dadurch siegreich aus den Midterm Elections hervor, werden die Trump kritischen Stimmen mehr und mehr verstummen. Bei den republikanischen Vorwahlen konnten sich Kemp und Raffensperger gegen Trumps Kandidaten sehr deutlich durchsetzen.

Dagegen konnte sich Trumps Kandidat für den nun neu zu wählenden Senatssitz Georgias ebenso deutlich durchsetzen. Dieser Sitz ist für die Republikaner bei den diesjährigen Midterm Elections von größter Bedeutung. Sie sehen hier die wohl größte Chance, den Demokraten einen so dringend benötigten Sitz abzuringen.

Georgia - ein neuer Swing State?


Inwieweit das Duell Trump gegen Biden 2020 in Georgia eine Ausnahme war oder Georgia tatsächlich zu einem dauerhaft umkämpften Swing State wird, dürfte man letztlich erst wieder bei der Präsidentschaftswahl 2024 sehen. Dennoch deuten die in jüngerer Vergangenheit absolvierten und nun anstehenden Wahlen darauf hin, dass die einstige Hochburg der Republikaner nachhaltig zu einem Battleground State bei bundestaatsweiten Wahlen geworden ist.

Nach Bill Clinton 1992 war Joe Biden der erste Demokrat, der in Georgia bei Präsidentschaftswahlen gewinnen konnte. Dabei muss auch erwähnt werden, dass Clinton wohl kaum 1992 gewonnen hätte, wäre da nicht Ross Perot gewesen, der als Unabhängiger 13 % in Georgia holte und damit viele Stimmen aus dem Lager der Republikaner abzog.
Auch bei Gouverneurswahlen in Georgia konnte seit 1998 kein Demokrat mehr gewinnen. Eine in etwa ebenso lange Durststrecke beendeten die Demokraten bei der regulären Wahl für den US-Senat 2020 und der Special Election ebenfalls für den Senat 2020/2021.
Jon Ossoff konnte knapp mit 1,2 % Vorsprung gegen den republikanischen Amtsinhaber David Perdue gewinnen, während der Demokrat Raphael Warnock mit 2 % Vorsprung die Special Election gegen die ernannte (nicht gewählte) Amtsinhaberin Kelly Loeffler gewann.
Während Ossoffs Sitz erst 2026 neu gewählt wird. muss sich Warnock aufgrund des normalen Wahlrhythmus bereits in diesem Jahr seiner ersten Wiederwahl stellen.

Laut der Analyse von FiveThirtyEight votiert Georgia bei Kongress- und Gouverneurswahlen 7,4 % mehr republikanisch als das jeweilige Durchschnittsergebnis der USA. Dies ist noch ein höherer Wert als bei anderen bekannten Swing States wie Pennsylvania, North Carolina oder Wisconsin, aber eben auch nicht mehr so hoch wie etwa Ohio oder Texas, die bei 12% liegen.
Ganz gleich wie diese Wahl und die zwischen Kemp und Abrams ausgehen werden, Georgias Ergebnisse der letzten Jahre deuten klar darauf hin, dass der Bundesstaat im Südosten der USA zu einem Swing State geworden ist. Auch wenn die neuen positiven Aussichten für die Demokraten insbesondere auch mit ihren Kandidatinnen und Kandidaten selbst zu tun haben.

Warnock gegen Walker - Baptistenpastor gegen NFL-Running Back


Raphael Warnock tritt als Amtsinhaber erneut für die Demokraten an. Der heute 53-Jährige konnte sich 2020 gegen Kelly Loeffler durchsetzen. Damit ist er der erste Schwarze, der Georgia im US-Senat in Washington vertritt. Warnock war vor seiner Zeit im Kongress insbesondere als Baptistenpastor und politischer Aktivist in Erscheinung getreten. In Georgia engagierte er sich insbesondere für Wählerrechte, die Ausweitung der Gesundheitsversorgung und eine verbesserte Stellung von Menschen mit geringem Einkommen.

Raphael Warnock official photo
Raphael Warnock
U.S. Senate Photographic Studio,
Rebecca Hammel, Public domain

Während seiner ersten Wahlperiode entsprach Warnocks Abstimmungsverhalten im US-Senat in fast allen Fragen den Positionen Joe Bidens. Lediglich bei der Frage nach Sanktionen im Zusammenhang zur Pipeline Nord Stream 2 (Zustimmung Warnocks) und die Missbilligung von Waffenlieferungen anderer Staaten nach Saudi Arabien (Zustimmung Warnocks) gingen die Meinungen auseinander.

Raphael Warnock wird von dem Republikaner Herschel Walker herausgefordert. Der 60-jährige Walker ist ein früherer Football-Spieler der NFL und verfügt bislang über praktisch keine politischen Erfahrungen. Walker wird von Donald Trump unterstützt und auch Mitch McConnell stellte sich demonstrativ hinter den Republikaner.
In den Vorwahlen der Republikaner holte Walker etwa 68 % und verwies damit seine Mitbewerbenden deutlich auf die Plätze.

Herschel Walker in May 2018
Herschel Walker
US Department of Health and Human Services,
Public domain

Walker vertritt klassisch konservative Positionen, die in diesem Wahlkampf insbesondere bei der Frage um Abtreibungsrechte ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu Raphael Warnock darstellen. Der Republikaner unterstützt eine verschärfte Einwanderungspolitik und fordert mehr Investitionen in Polizei und Militär. Außerdem will sich Walker für einfache Arbeiter und den Mittelstand einsetzen.
Herschel Walker hat in Bezug auf Trumps Wahlniederlage 2020 immer wieder die Rechtmäßigkeit des Wahlergebnisses in Frage gestellt und forderte Neuwahlen in allen mehr oder weniger knapp verlorenen Bundesstaaten. So unterstützte Walker auch Trumps rechtliche Versuche, die Wahlergebnisse zu kippen. Hinsichtlich der Erstürmung des Kapitols am 06. Januar 2021 behauptete Walker, dass diese durch Personen initiiert worden seien, die von dem massenhaften Wahlbetrug nur ablenken wollten.

Umfragen deuten auf Kopf-an-Kopf-Rennen hin


Umfragen aus den vergangenen zwei Monaten zeigen das einheitliche Bild eines Kopf-an-Kopf-Rennens. Beide Kandidaten müssen um jede Stimme kämpfen. Zuletzt lag Herschel Walker bei Umfragen von Emerson und Trafalgar 2 % bzw. 1 % vor dem Demokraten. Raphael Warnock lag wiederum in Umfragen von Insider Advantage und Fox News 3 % bzw. 4 % vor dem Republikaner.

Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass derzeit keine seriöse Prognose über den Ausgang der Wahl getroffen werden kann. Die Republikaner haben noch immer einen strukturellen Vorteil in Georgia. Vergleicht man allerdings dieses Rennen um den Senatssitz mit der Gouverneurswahl ist auffällig, das dort der Republikaner Brian Kemp in Umfragen jeweils etwas besser dasteht als sein Parteifreund Walker. Kemp liegt hier im Schnitt knapp 5 % vor Stacey Abrams. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die eingangs erwähnten Spannungen innerhalb der republikanischen Partei insbesondere in Georgia dazu führen, dass die Linie von Kemp und Raffensperger bei den Nicht-Anhängern Trumps innerhalb der Partei vor allem aber auch bei den Unabhängigen besser ankommt, als die Positionierung Walkers in dieser Frage.

Neben Nevada gilt Georgia als die beste Chance der Republikaner, den Demokraten einen Sitz im US-Senat abzunehmen. In den nächsten Vorschauen stelle ich die Ausgangssituationen in Florida, Wisconsin, North Carolina und Pennsylvania vor, bevor ich dann auf die aktuelle Situation für die Wahl zum US-Repräsentantenhaus eingehe.

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*Teile des Mitschnitts Telefonat Trump/Raffensperger, veröffentlicht von der Washington Post.



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