Samstag, 19. September 2020

Streit um Ginsburg-Nachfolge am Supreme Court wird den Wahlkampf prägen

Ruth Bader Ginsburg 2016 portrait
Ruth Bader Ginsburg, verstorben am 18.09.20,
Quelle: US-Supreme Court, 2016
Mit Ruth Bader Ginsburg ist die profilierteste liberal-progressive Richterin am US-Supreme Court gestorben. Die Lücke, die sie hinterlässt, ist weit größer als nur eine offene Stelle am obersten Gerichtshof der USA: Aber gerade die Diskussion um die Nachbesetzung dieser Stelle schlägt in den US-Wahlkampf ein wie eine Bombe. Die ausstehende Entscheidung über die Nachfolge könnte die Mehrheitsverhältnisse am Supreme Court zugunsten der Konservativen auf Jahrzehnte zementieren. Dazu aber später mehr.
Es war gerade mal eine Stunde nach der Veröffentlichung des Todes Ginsburgs vergangen, da deutete der republikanische Mehrheitsführer im US-Senat Mitch McConnell bereits an, dass der Senat schnell bereit sein werde, über die Nachbesetzung abzustimmen. Auch Donald Trump ließ die Republikaner unmissverständlich wissen, dass sein Ziel eine schnelle Nachbesetzung sei. Er wolle in der kommenden Woche vermutlich eine Frau nominieren.
Die verstorbene Ginsburg formulierte vor ihrem Tod: "Mein sehnlichster Wunsch ist, dass ich nicht ersetzt werde, bis ein neuer Präsident eingesetzt wurde."


Streit um Zeitpunkt der Nachbesetzung


McConnell und Trump dürften in den kommenden Tagen und Wochen wohl häufiger den direkten Kontakt suchen. Eine Richterin oder ein Richter am Supreme Court wird auf Vorschlag des US-Präsidenten ernannt und muss mit der Mehrheit der Stimmen im US-Senat bestätigt werden. Sowohl das Weiße Haus als auch der US-Senat sind aktuell in den Händen der Republikaner. Ob dies nach der Präsidentschaftswahl und den Kongresswahlen 2020 in gut sechs Wochen auch noch der Fall sein wird, ist ungewiss.

Die Demokraten fordern die Aussetzung der Nachfolge bis der neue US-Präsident und die neue Zusammensetzung des US-Senats durch die Wählerinnen und Wähler entschieden wurde. Viele zeigen jetzt genau auf Mitch McConnell der im Jahr 2016 mit seiner republikanischen Mehrheit im Senat die Abstimmung über die Benennung von Merrick Garland verhinderte. Der eher liberale Garland wurde damals 10 Monate vor der Präsidentschaftswahl durch Barack Obama in dessen letzten Amtsjahr vorgeschlagen. Die Republikaner argumentierten, dass die Wählerinnen und Wähler mit ihrer Abstimmung bei den Wahlen indirekt auch über die Besetzung am Supreme Court entscheiden sollten.
Die geplante Nachfolge scheiterte also und Donald Trump setzte nach seiner Amtseinführung mit Neil Gorsuch einen konservativen Richter auf den Posten.

Warum die Zusammensetzung des Supreme Courts von höchster politischer und ideologischer Brisanz und Bedeutung ist, liegt an dem großen Einfluss, den der Oberste Gerichtshof letztlich auch auf politische grundsätzliche Streitthemen hat. Und davon gibt es bei einer zunehmenden Polarisierung in den USA genug.


Bedeutung des US-Supreme Court


Der Supreme Court ist der Oberste Gerichtshof der USA und wird von neun Richterinnen und Richtern besetzt. Wichtige und weitreichende Entscheidungen werden in dieser höchsten Instanz getroffen. In den letzten 15 Jahren waren dies z. B. die Ermöglichung von Abtreibungskliniken, die vollständige Anerkennung und Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen in allen Bundesstaaten und durch die Bundesregierung, die grundsätzliche Verfassungskonformität der gesetzlichen Krankenversicherung für alle US-Bürger, die Anerkennung der Verankerung des Grundrechts auf Schusswaffen in der Verfassung oder auch die Anerkennung des Rechts auf freie Meinungsäußerung für Unternehmen, die durch finanzielle Spenden Kandidatinnen und Kandidaten in politischen Wahlkämpfen unterstützen wollen.
Da diese und andere Entscheidungen von meist höchster politischer Ideologie und Bedeutung sind, haben Republikaner und Demokraten naturgemäß ein großes Interesse an der Besetzung der Richterposten. So nominieren die jeweiligen US-Präsidenten meist jene Richterkandidatinnen und Richterkandidaten, die ihrer politischen Grundhaltung entsprechen. Demokraten nominieren eher liberale und progressive, Republikaner eher konservative Personen.


Oblique facade 3, US Supreme Court
US Supreme Court
Erstmal durch den Senat bestätigt, bleibt eine Richterin oder ein Richter lebenslang im Amt, was die Bedeutung der Ernennung nochmals anhebt. Aus dem Amt kann man aber auch durch Rücktritt ausscheiden. Das Repräsentantenhaus kann auch ein Amtsenthebungsverfahren gegen Richterinnen und Richter des Supreme Courts einleiten.


Konservative Mehrheit am Supreme Court


Reduziert man die Betrachtung der acht derzeitig amtierenden Richterinnen und Richter auf deren ideologische Ausrichtung, gibt es aktuell eine konservative Mehrheit am Obersten Gerichtshof.
Bei der folgenden Übersicht ist aber hinzuzufügen, dass die Richterinnen und Richter sich natürlich nicht eins zu eins in eines der Lager verorten lassen wollen. Auch die Ausprägung ihrer Einordnung ist durchaus unterschiedlich. So ist Richter John Roberts eher als gemäßigt konservativ anzusehen. Er entschied z. B. mit den liberalen Richterinnen und Richtern, dass Obamas gesetzliche Krankenversicherung verfassungskonform ist. Die Abstimmung endete mit 5:4 Stimmen. Auch in diesem Jahr war John Roberts bereits zweimal das Zünglein an der Waage und stimmte mit der liberalen Seite. Insofern ist Roberts themenabhängig inzwischen nicht mehr als sicher konservativ anzusehen.


Liberal
Konservativ
Nominiert durch
US-Präsident
Mehrheit
im Senat

Clarence Thomas, 72
George Bush
Dem
Ruth Bader Ginsburg, 87

Bill Clinton
Dem
Stephen Breyer, 82

Bill Clinton
Dem

John Roberts, 65
George W. Bush
Rep

Samuel Alito, 70
George W. Bush
Rep
Sonia Sotomayor, 66

Barack Obama
Dem
Elena Kagan, 60

Barack Obama
Dem

Neil Gorsuch, 53
Donald Trump
Rep

Brett Kavanaugh, 55
Donald Trump
Rep
offen
offen
offen/
Donald Trump
offen/ Rep


Durch das Ausscheiden Ginsburgs würde Roberts Stimme aber letztlich nicht mehr die entscheidende sein, sollte es Trump und den Republikanern gelingen, einen weiteren Konservativen am Supreme Court zu platzieren. Es wäre Trumps dritte Benennung innerhalb einer Amtszeit, so viel Einfluss hatte in den vergangenen Jahrzehnten kein Präsident mehr gehabt. Ronald Reagan war der letzte Präsident, der vier Richter erfolgreich durchsetzte. Alle folgenden Präsidenten ernannten jeweils Richterinnen oder Richter erfolgreich. Sollte es Trump gelingen nun einen dritten Richter durchzusetzen, würden 5-6 Konservative eine sichere Mehrheit gegen 3-4 Liberale haben.


Supreme Court of the United States - Roberts Court 2018.jpg
hinten, von links: Neil Gorsuch, Sonia Sotomayor, Elena Kagan, Brett Kavanaugh
vorne, von links: Stephen Breyer, Clarence Thomas, John Roberts, Ruth Bader Ginsburg, Samuel Alito


Strategische Auswirkungen von Senatsmehrheiten auf personelle Besetzung des Supreme Courts


Anhand der Übersicht ist auch zu erkennen, wie wichtig es für den US-Präsidenten in dieser Frage ist, eine Mehrheit der eigenen Partei im US-Senat zu haben. Bis auf Clarence Thomas im Jahr 1991 bestand bei allen Ernennungen eine Gleichheit zwischen Parteizugehörigkeit des Präsidenten und der Mehrheit im Senat.

Es ist natürlich auch nicht zwingend gesetzt, dass alle Senatorinnen und Senatoren einheitlich mit ihrer Partei abstimmen. Gibt es besondere Gründe oder persönliche Ansichten, die für oder gegen einen Kandidaten sprechen, kommt es auch mal vor, dass abweichend der Parteilinie abgestimmt wird. Insofern ist eine knappe Mehrheit im Senat auch immer eine Zitterpartie.

Auch in den nun folgenden Wochen wird eine Frage ganz entscheidend sein. Haben die Republikaner ihre Mehrheit im US-Senat auch tatsächlich zusammen? Bereits jetzt haben Susan Collins und Lisa Murkowski angekündigt, nicht mehr in dieser Wahlperiode über die Nachfolge abstimmen zu wollen. Weitere Abweichler dürften sich die Republikaner nicht mehr leisten. Insbesondere Mitt Romney aus Utah und Charles Grassley aus Iowa könnten hier Wackelkandidaten sein.
Es ist gut möglich, dass Trump nun erstmal auf das positive Signal McConnells wartet, bevor der Präsident einen konkreten Vorschlag macht.


Auswirkungen auf den aktuellen Wahlkampf


Eines ist aber jetzt schon klar, die Diskussion um die Besetzung des offenen Richterpostens wird eines der bestimmenden Themen des verbleibenden Wahlkampfes sein. Donald Trump wird darauf hoffen, dass die religiös-konservativen Kräfte der Republikaner sich stärker als bisher hinter ihn stellen, um die Aussicht auf eine lange Phase konservativer Rechtsprechung zu verwirklichen.
Aber auch bei den Demokraten könnte die Debatte nochmal für einen Mobilisierungsschub sorgen. Denn gerade im links-progressiven Lager haben verschiedene führende Vertreter wie Bernie Sanders zuletzt erneut davor gewarnt, Biden könnte nicht genügend ihrer Wählerinnen und Wähler tatsächlich zur Wahl bewegen. Gerade aber ideologische Debatten führen zu einer Mobilisierung der politischen Ränder.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

2 Fragen: Hat nicht Neil Gorsuch auch bei mehreren Urteilen gegen die Hoffnungen der Konservativen gestimmt?
2. Haben die Demokraten irgendwelche Möglichkeiten das Verfahren bis nach der Wahl auszubremsen?

Rainbow-Warrior 21 hat gesagt…

Genau diese Fragen habe ich mir auch gestellt @Anonym 20:58
Vielleicht weiß Thomas mehr dazu ;-) ? !

Thomas hat gesagt…

Die Demokraten könnten die Besetzung etwas verzögern, aber wohl nicht aus eigener Kraft verhindern. Man darf auch nicht vergessen, dass sie selbst bei einem Sieg bei der Präsidentschaftswahl und einer möglichen Mehrheit im Senat erst im Januar 2021 entsprechend Macht ausüben können. Trump und die republikanischen Senatorinnen und Senatoren könnten also auch noch rund zwei Monate nach der Wahl die Besetzung in ihrem Sinne umsetzen, selbst wenn sie am 03. November verlieren würden. Unabhängig davon ist fraglich, ob die Demokraten überhaupt klug beraten wären, die Nachbesetzung zu verhindern. Aktuell habe ich den Eindruck, dass die Wahlkampfthemen Trump nicht unbedingt in die Karten spielen. Bleibt die Supreme Court Diskussion lange oben auf der Tagesordnung, kann ihm das evtl. helfen. Zudem kommt noch hinzu, dass die Demokraten ja 2016 auch anders argumentiert haben. Es wäre wohl klüger darauf zu setzen, dass die Republikaner keine eigene Mehrheit im Senat für eine schnelle Nachbesetzung erreichen. Demokraten und Unabhängige kommen, sofern sie einheitlich stimmen, auf 47 Stimmen. Die Republikaner haben noch 51 Stimmen, da Murkowski und Collins entweder mit Nein stimmen oder nicht mitstimmen. Jedenfalls müssten noch zwei weitere Republikaner abtrünnig werden. Die Wahrscheinlichkeit ist auf jeden Fall höher, als beim Impeachment-Verfahren. Sollten die Demokraten am 3. November das Weiße Haus und die Mehrheit im Senat gewinnen, wäre auch eine Vergrößerung des Supreme Court möglich, um die dann freien Sitze mit liberalen Richtern zu besetzen. Ob das allerdings sinnvoll ist? Joe Biden hat dies in der Vergangenheit abgelehnt.
Ja, Neil Gorsuch hat auch bereits mehrfach mit den Liberalen gestimmt.

Anonym hat gesagt…

Danke für die Antwort. Ich denke das dieses Thema sicher auch Demokraten, gerade vom Linken Rand mobilisiert die Biden nicht mögen aber keine rechte Mehrheit am Obersten Gericht wollen.
Wäre eine Vergrößerung des Supreme Courts denn so einfach möglich?