So intensiv der Wahlkampf auch ist, nennenswerte Bewegungen in den Umfragen sind kaum erkennbar. Ein Trend aber hat sich durchgesetzt: Harris und Trump nähern sich in den Swing States immer mehr an.Die durchschnittlichen Umfragen für die sieben Battleground States sehen in fünf von sieben Bundesstaaten einen Unterschied von unter 1%.
Trump holt in vielen Swing States auf
Dabei ist erkennbar, dass Donald Trump in den letzten sechs Wochen insbesondere im Rust Belt aufgeholt hat. Er konnte seine Rückstände in Michigan, Pennsylvania und Wisconsin verringern. Auch in Arizona konnte er das Blatt wenden.
Dagegen hat sich sein Vorsprung in Georgia verringert und sein Rückstand in Nevada vergrößert.
Die folgende Tabelle zeigt die aktuellen durchschnittlichen Umfragestände im Vergleich zu denen vor ca. 6 Wochen.
Vorsprung Harris = blau Vorsprung Trump = rot
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aktuell
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vor
sechs Wochen
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Entwick-lung
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Pennsylvania
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+ 0,7
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+ 1,6
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+ 0,9
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Michigan
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+ 1,5
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+ 2,9
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+ 1,4
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Wisconsin
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+ 1,7
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+ 3,3
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+ 1,6
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North Carolina
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+ 0,5
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+ 0,1
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+ 0,4
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Georgia
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+ 0,8
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+ 1,3
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+ 0,5
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Arizona
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+ 0,9
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+ 1,2
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+ 2,1
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Nevada
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+ 0,9
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+ 0,4
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+ 0,5
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Klares Ergebnis trotz enger Umfragen?
Die aktuellen Umfragen zeigen also ein uneingeschränkt offenes Rennen. Denn sowohl die momentanen Abstände in den Meinungserhebungen als auch die Veränderungen der letzten Wochen und Monate sind so marginal, dass sie komplett in die Fehlertoleranz fallen.
Die meisten Umfragen weisen eine Fehlertoleranz von ca. 3-4 % für jeden erhobenen Wert aus, also bis zu 8% bei den Abständen zwischen zwei Kandidaten.
Wie vor einigen Wochen bereits dargestellt, ist es bei Präsidentschaftswahlen nicht ungewöhnlich, dass durchschnittliche Umfragen und tatsächliche Ergebnisse rund 4-5 % abweichen, bei Wahlen zum Senat und Repräsentantenhaus liegt dieser Wert noch etwas höher.
Dies ist auch der Grund, dass das Endergebnis im Electoral College sehr unterschiedlich ausfallen kann, obwohl nur wenige Zehntausende Stimmen den Unterschied ausmachen können.
Ein so enges und offenes Rennen, wie es sich derzeit abzuzeichnen scheint, bedeutet also nicht zwangsläufig auch einen knappen Ausgang der Wahl.
Natürlich kann es sein, dass Harris oder Trump mit 270 zu 268 Electoral Votes jeweils mit nur zwei Electoral Votes gewinnen. Das ist logischerweise der Fall, wenn die Swing States von unterschiedlichen Kandidaten gewonnen werden.
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Trump gewinnt mit 2 Electoral Votes durch Pennsylvania, North Carolina und Georgia
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Harris gewinnt mit 2 Electoral Votes durch Pennsylvania, Michigan und Wisconsin |
Liegen die Umfragen aber generell tendenziell einseitig zugunsten von Harris oder Trump daneben, kann bei diesen engen Meinungserhebungsergebnissen auch sehr einfach eine Differenz von rund 100 Electoral Votes zustande kommen.
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Trump gewinnt mit 86 Electoral Votes Vorsprung durch Sieg in alles Swing States |
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Harris gewinnt mit 100 Electoral Votes Vorsprung durch Sieg in alles Swing States |
Harris und Trump wählen unterschiedliche Strategien der Mobilisierung
Je dichter der Wahltag heranrückt, desto wichtiger ist der Unterschied, ob bei den Umfragen "nur" registrierte Wählerinnen und Wähler berücksichtigt wurden oder ob diese Gruppe auch nochmal befragt wurde, wie wahrscheinlich es ist, dass sie auch tatsächlich an der Wahl teilnehmen (Likely Voters, in Umfragen meist mit LV statt RV für Registered Voters abgekürzt).
Eine allgemeine Stimmung bei allen Registrierten muss eben nicht zwingend am Wahltag auch abgebildet werden. Wenn Harris oder Trump also ihre grundsätzliche Zustimmung nicht in tatsächliche Wählerstimmen umwandeln können, lassen sie Potenzial liegen.
Ein weiterer Faktor spielt zunehmend eine größere Rolle. Die Anzahl der Unentschlossenen wird in den nächsten Wochen tendenziell abnehmen. Die letzten Wochen des Wahlkampfs sollten eher dazu führen, dass sich bislang Unentschlossene final entscheiden.
Donald Trump und Kamala Harris sind also gefordert, diese beiden Potenziale bestmöglich abzurufen. Einerseits die Mobilisierung der eigenen Wählerschaft steigern (RV in LV umwandeln) und andererseits Unentschlossene final für sich zu gewinnen.
Trump setzt auf radikalen Populismus um sein ganzes Potenzial auszuschöpfen
Das von CNN angedachte TV-Duell zwischen Harris und Trump hat der Republikaner abgelehnt. Ebenso sagte er im Gegensatz zu Harris das auf CBS traditionell sehr bekannte Interview bei "60 Minutes" ab. Der Republikaner verzichtet ohnehin weitgehend auf die traditionellen Mainstream-Medien. Offenbar geht er davon aus, dass er auf diesen Sendern oder auch bei Zeitungen wie der New York Times oder der Washington Post keine Wählerinnen und Wähler mehr überzeugen kann. Trump zieht sich zunehmend in für ihn angenehme Formate zurück. Auftritte bei großen wie kleinen rechten und nationalistischen Podcasts oder anderen Social Media Kanälen sind an der Tagesordnung, wie auch seine Auftritte vor Ort in den Swing States.
Inhaltlich haben Trump und dessen Unterstützer nochmal an Aggressivität zugelegt und bedienen dabei immer stärker Rassismus und Verschwörungstheorien. Ausländer würden das Morden und Töten in ihren Genen haben, Haitianer in Ohio die Haustiere der Amerikaner essen, die Demokraten beeinflussen das Wetter und Kamala Harris lenke Hilfsgelder für Hurrikan-Opfer an illegale Einwanderer um.
Diese offensichtlichen und nachgewiesenen Lügen sind nicht geeignet, die moderate Wechselwählerschaft zu begeistern. Das weiß auch das Wahlkampfteam Trumps. Sie setzen also voll eine maximale Emotionalisierung und Mobilisierung ihrer Stammwählerschaft, von der sie meinen, sie hätte Trump 2016 zum Sieg geführt. Vor acht Jahren waren es auch die zahlreichen Tabubrüche im Wahlkampf, die Trump letztlich nicht geschadet haben und für einen Erfolg gegen eine in den entscheidenden Swing States schwächelnde Hillary Clinton sorgten.
Trump gibt sich bewusst nicht mehr präsidial. Sei es aufgrund seiner Erfahrungen bei der Niederlage in 2020 oder schlicht deswegen, weil er weiß, dass inhaltlich für ihn nicht mehr aus der politischen Mitte herauszuholen ist.
Harris setzt auf schlummerndes Wählerpotenzial
Kamala Harris dagegen versucht nun genau diese von Trump vernachlässigte Mitte anzusprechen und hat sich inhaltlich gegen einen klaren linken Kurs entschieden. Anstatt von verschärften Waffengesetzen spricht sie von ihrer eigenen Schusswaffe der Marke Glock. Medicare for all ist kein Thema mehr und der Kampf gegen den Klimawandel ist selbst nach zwei desaströsen Hurrikans maximal eine Randnotiz in diesem Wahlkampf. Dazu kommt kein eindeutiger Schulterschluss mit einer pro-palästinensischen und muslimischen Wählerschaft der Demokraten in Michigan.
Harris setzt auf Überzeugungsarbeit bei den Themen Wirtschaft, Arbeit und Einwanderung. Ihre vermeintlichen Schwachstellen geht sie offensiv an. Aber sie weiß auch, dass das ggf. nicht reichen kann. Trotz eines radikalisierten Trumps kann sie mit Ausnahme des Unterschieds zu den Werten Joe Bidens bislang keine nennenswerten Erfolge in den Umfragen verzeichnen.
Fraglich ist, ob dieser Kurs aufgehen wird. Für einen Kehrtwende hin zum linken Flügel der Demokraten ist es zu spät. Unvermeidlich geht Harris nun also das Risiko ein, dass diese Wählerinnen und Wähler, die an Bidens Sieg in 2020 einen wichtigen Anteil hatten, frustriert zuhause bleiben. Sie setzt darauf, dass sie auf den letzten Metern des Wahlkampfs schon alle zur Wahl gehen werden, um Trumps Wiedereinzug ins Weiße Haus zu verhindern. Erst nach der Wahl wird Harris wissen, ob die Angst vor einer Rückkehr des Republikaners genauso groß ist, wie es 2020 der Wunsch war, Trump abzuwählen.
Harris setzt also anders als Trump auf einen Kurs der Mitte. Da sie aber auch festgestellt haben dürfte, dass dies bislang noch nicht so aufgegangen ist, versucht sie nun sehr gezielt gänzlich andere Wählerschichten zu erreichen. Zwar nutzt sie die klassischen Formate wie etwa das bereits erwähnte 60 Minutes Interview auf CBS. Auch vereinbarte sie einen Town Hall Auftritt auf CNN. Eine Welle an Interviews und Auftritten in den klassischen Medien sieht aber anders aus. Blickt man auf die Auftritte der letzten zwei Wochen, ist erkennbar, dass Harris teilweise politikferne Formate auswählt, um hier einfach auch mögliche Wählerinnen und Wähler zu erreichen, die keine klassischen politischen Medien konsumieren.
Die Late Night Show mit Stephen Colbert besuchten zwar auch schon andere Politiker aus dem progressiven Spektrum, dennoch ist dies im Vergleich zu einem Interview mit CNN, Fox News, NBC, ABC oder CBS weniger politisch ausgerichtet. Ein noch viel prägnanteres Beispiel ist Harris Auftritt beim Podcast "Call Her Daddy" mit Alex Cooper. Der Podcast hat auf Youtube knapp 1 Mio überwiegend junge weibliche Abonnentinnen, bei Instagram sind es 2,5 Mio Follower, knapp 4 Mio bei TikTok und zweitgrößter Podcast bei Spotify in 2022. Politik gehört aber nicht zu den Hauptthemen und auch nebensächlich soll sie nur selten mal angeschnitten werden. Es folgten Auftritte in der Howard Stern Show um im Frühstücksfernsehen bei "The View".
Ob diese Taktik aufgehen wird, ist unklar, die Strategie dafür um so klarer. Wer sich als politisch Interessierter bislang nicht zwischen Trump und Harris entscheiden konnte, wird auch nach einem weiteren politischen Interview noch Grübeln. Wer vom linken Flügel der Demokraten jetzt noch immer zuhause bleiben will, dürfte nur noch schwer erreichbar sein. Warum also nicht eine ganz andere bislang kaum berücksichtigte Wählerschaft ansprechen?