Vor rund 1500 ausgewählten Trump-Unterstützern hielt der Präsident am gestrigen Abend vor dem Weißen Haus die Abschlussrede des Nominierungsparteitags. In 70 Minuten konnte man praktisch die Hauptaussagen der gesamten vorigen vier Tage nochmal als Zusammenschnitt persönlich vom Präsidenten hören. Im Kern gab es zwei Aussagen: Kein Präsident hat je etwas Großartigeres geleistet als Donald Trump und mit Joe Biden und dessen Demokraten würde das Land im sozialistischen Chaos dahinsiechen. Trump lobte sein Krisenmanagement in der Coronakrise, zeigte sich als Law-and-Order-Präsident und quer durch alle Themenfelder hindurch habe er seine Versprechen gehalten.
Auf den Wahrheitsgehalt der Trump-Reden kommt es nicht mehr an
Den Wert dieser Rede wird man nicht allein an den Inhalten festmachen können. Was davon stimmt, was lediglich Unterstellungen sind, welche Behauptungen irreführend verbreitet werden, wann übertrieben wurde usw. kann man im Zweifel bei einem der vielen Fakten-Checks unabhängiger Seiten nachprüfen. Darauf im Einzelnen einzugehen, ist aus meiner Sicht nicht zielführend. Entscheidend ist die Betrachtung der Rede aus rein wahlstrategischer Sicht. Es geht um Mobilisierung der eigenen republikanischen Lager und nicht um Überzeugung der Anhängerschaft des politischen Konkurrenten.
Ohnehin würde Trump in der Öffentlichkeit auch deutlich glaubwürdiger wahrgenommen werden, wenn die Absolutheit aus seiner Eigendarstellung verschwinden würde. Natürlich hat Trump in einigen Punkten Wort gehalten und auch positive Ergebnisse geliefert. Würde er sie seriös herausarbeiten und auch den Anteil anderer einbeziehen, würde er auch mal einen Fehler eingestehen, dann wäre die Akzeptanz eine weitaus höhere, als wenn er nur in den Kategorien der extremen Superlativen spricht, unter denen dann die feinen Wahrheiten verdeckt werden.
Zurück zur Rede: Wen wollte Donald Trump also mit seiner Ansprache und dem gesamten Parteitag erreichen?
Es sind im Prinzip zwei Gruppen bei den Republikanern, die er ansprechen wollte, die sog. Trumpisten und die potenziellen Wechselwähler. Der Präsident wird bei dieser Wahl auch darauf angewiesen sein, dass seine treuesten Fans auch tatsächlich wieder geschlossen zur Wahl gehen. Sie möchten von ihrem Kandidaten glorifizierende Reden hören, in denen sie sich zumindest stellenweise angesprochen und durchgehend unterhalten fühlen. Es reicht aus, dass sie sich in einzelnen Punkten wiederfinden können. Darüberhinaus muss ein klares Feindbild gezeichnet werden.
Das Feindbild Joe Biden ist mehr als der Kandidat der Demokraten
Namentlich war dies natürlich Joe Biden, den Donald Trump zur Zielscheibe jeglicher verbaler Angriffe machte. Dabei musste Biden unabhängig seiner eigenen Position für alles herhalten, was Trump meint, mit den Demokraten in Verbindung zu bringen. Ein sehr einprägsames und doch auch etwas verräterisches Bild war das, des Joe Biden als Trojanisches Pferd, wie der Präsident ihn bezeichnete. Trump wusste also genau, dass die Öffentlichkeit Joe Biden anders wahrnimmt, als der Präsident es gestern in seiner Rede darstellte. Nach einer Wahl Bidens, so die Darstellung Trumps, würden sich aus der Präsidentschaft der Demokraten heraus die linksradikalen Positionen durchsetzen und das Land zerstören. Das vorgenannte Feindbild war also geschaffen.
Trump konnte damit beide Zielgruppen erreichen. Die Trumpisten, die sich haben motivieren lassen und Teil der Erfolgsbewegung des Präsidenten sein wollen, die dessen Vision eines "Großartigen Amerikas" teilen wollen. Zugleich sollten moderate Republikaner ins Grübeln kommen, ob das Risiko unter einer Biden-Regierung nicht tatsächlich zu groß wäre. Wird das Land, das sie kennen und lieben, so stark durch die progressiven Kräfte verändert werden, dass sie es nicht mehr wiedererkennen? Trump hat hier gezielt Ängste erzeugt und zugleich das Gefühl der Einigkeit gefördert. Einig im Kampf gegen die von ihm bezeichneten links-sozialistischen Demokraten.
Biden sollte alarmiert sein
Wer im Wahlkampfteam im Lager der Republikaner sitzt, und dort nicht unbedingt in der Ecke der Bushs, darf sich über die Rede Trumps freuen. Ein Wahlkampfmanager kann nur begeistert gewesen sein, es war eine gelungene Wahlkampfrede Trumps. Die beiden Kernaufgaben hat der Präsident an diesem Abend gemeistert.
Es spielt dann keine Rolle mehr, wie glaubwürdig die einzelnen Inhalte sind. Ohnehin haben sich über die Jahre hinweg viele Menschen daran gewöhnt, dass der Präsident mal etwas plakativ übertreibt und Fakten nur selektiv in seine Reden einbaut, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Es wird toleriert, solange die Ergebnisse der eigenen Lebenswirklichkeit nicht ein völlig anderes Bild liefern.
Wer im Wahlkampfteam im Lager der Demokraten sitzt, muss feststellen, dass Joe Biden in den verbleibenden Wochen alles geben muss, um die eigenen Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Für Biden etwas schwieriger ist das Werben an den Rändern. Anders als Trump, steht Biden bereits eher in der politischen Mitte. Trump steht rechts, im Rücken ihn unterstützend der national-konservative Flügel. Sie sind hochmotiviert, wohlwissend, dass es kaum einen Präsidenten geben wird, der näher bei ihnen steht. Und so blicken sie alle gemeinsam in die politische Mitte, nicht inhaltlich überzeugt von den dortigen Positionen, sehr wohl aber von dem Wissen, dass Trump die Mitte zur Wiederwahl benötigt.
Joe Biden steht nun aber bereits dort und muss mit vorsichtigen Aussagen zweifelnde Republikaner umwerben und zugleich mit Leidenschaft auch um die linken Demokraten aus dem Sanders-Lager buhlen. Eine ungleich schwierigere Ausgangssituation. Gelingt es Biden aber, diesen Spagat zu vollziehen, dürfte er kaum zu schlagen sein, ganz gleich wie stark Trump am rechten Flügel mobilisiert.
In den kommenden Wochen wird also ein Wahlkampf zu erwarten sein, in denen der eine Ängste schürt und der andere sie entkräften muss. Joe Biden wäre wohl gut beraten, sich unmissverständliche Antworten auf die Fragen zu überlegen, wie er die Unruhen in einigen Großstädten beenden will und wie weit er die Wirtschaft im Land während der Corona-Pandemie herunterfahren würde. Das sind genau die beiden Hauptängste, die Trump bedient und auf die er in den TV-Debatten mit Biden eingehen wird. Die Angst vor Gewalt und Chaos unter einem schwachen Präsidenten Biden und die Furcht vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch, infolge eines Lockdowns, den der Demokrat unter gewissen Umständen vollziehen würde.
Rede des Vizepräsidenten Mike Pence
Bereits am Mittwoch Abend hielt Mike Pence seine Ansprache in Baltimores Fort McHenry, Maryland. Pence lobte die Leistungen Trumps und bewies einmal mehr seine Loyalität zum US-Präsidenten. Auch der Vizepräsident zielte mehrfach auf die Demokraten und warnte vor deren Bestrebungen.
Mike Pence trifft am 07.Oktober in Salt Lake City, Utah, im einzigen TV-Duell der Vizekandidaten auf die Demokratin Kamala Harris.