Knapp drei Monate vor der US-Präsidentschaftswahl ist das Rennen um den Einzug ins Weiße Haus wieder völlig offen. Nachdem es Donald Trump gelungen war, eine allgemeine Stimmungslage gegen Joe Biden aufzubauen, hat der Wechsel zu Kamala Harris nochmal für einen Aufschwung bei den Demokraten gesorgt. War Trump sowohl landesweit als auch in den meisten der wichtigen Swing States 2-5 % vor Joe Biden, ist Harris in den meisten Umfragen knapp an Trump vorbeigezogen. Da der Abstand zwischen beiden aber innerhalb der Fehlertoleranz der Umfragen liegt, kann lediglich sicher gesagt werden, dass der Wahlkampf ein Reset erhalten hat und der Wahlausgang so offen wie lange nicht mehr ist.
Landesweite Umfragen zeigen Stimmungsumschwung
Fast ein Jahr lang lag Donald Trump in den landesweiten Umfragen immer vor Joe Biden. Zuletzt war erkennbar, dass es den Demokraten nicht mehr gelang, diesen Negativtrend umzukehren, so dass Trump rund 3% Vorsprung vor Biden hatte. Seit dem Wechsel von Biden zu Harris, hat sich dieser Trend umgekehrt. Inzwischen gibt es kaum noch Umfragen, die Trump vor der amtierenden Vizepräsidentin sehen. Kamala Harris liegt durchschnittlich gut 2 % vor dem Republikaner. Bekanntlich helfen diese landesweiten Umfragen nicht bzw. kaum, den Ausgang der Wahl zu prognostizieren, dass der US-Wahlkampf nun aber nochmal eine neue Dynamik entwickelt, ist indes hierbei eindeutig abzulesen.
Hinsichtlich der Frage, inwieweit sich die Kandidaturen von Robert F. Kennedy Jr., Jill Stein usw. auf das Gesamtergebnis auswirken, ist ebenfalls eine leichte Trendumkehr festzustellen. Kennedy kommt schon lange nicht mehr auf zweistellige Werte. Aktuell kann er nur noch mit rund 5% rechnen, die tendenziell zu ähnlichen Anteilen Demokraten und Republikanern fehlen. Da diejenigen, die auf Kennedy setzen, meist unzufrieden mit Trump und Biden waren, haben dieser Wähler nun auf Seiten der Demokraten mit Kamala Harris ein neues Angebot erhalten, was zumindest einige von ihnen wieder von Kennedy wegbringen könnte. Die Konsequenz daraus ist, dass eine Kandidatur von Kennedy inzwischen Trump etwas mehr schaden dürfte. Dennoch muss auch hier gezielt in die einzelnen Bundesstaaten geblickt werden, um jeweils eine klare Aussage treffen zu können. Dieser Blick lohnt sich aber erst in den letzten vier bis sechs Wochen vor der Wahl, wenn auch feststeht, in welchen Bundesstaaten die unabhängigen und Dritt-Partei Kandidaten antreten können.
HIER findet Ihr den Stand zu den aktuellen landesweiten Umfragen.
Alles offen in Battleground States
Der allgemeine landesweite Stimmungstrend zeigt sich auch in den Battleground States. Die Demokraten sind z. B. in Arizona, Nevada, Georgia und North Carolina wieder zurück im Rennen.
Donald Trump hatte hier zum Zeitpunkt Bidens Rückzug durchweg einen Vorsprung in den Umfragen, der bereits an oder teilweise schon außerhalb der Fehlertoleranz war. Nach gut zwei Wochen Kandidatur von Kamala Harris ist dieser Vorsprung geschmolzen oder bereits nicht mehr vorhanden.
Die folgende Tabelle zeigt den durchschnittlichen Vorsprung der Kandidaten in den Battleground States zum Zeitpunkt Bidens Rückzug und heute.
Mit Ausnahme von Minnesota müssen alle anderen hier aufgeführten Bundesstaaten wieder als absolut offen angesehen werden. Minnesota dürfte wahrscheinlich wieder zu den Demokraten tendieren, zumal auch ihr Gouverneur Tim Walz nun als Vizekandidat von Kamala Harris auf dem Ticket steht, was die derzeitigen Umfragen noch nicht berücksichtigen.
HIER findet Ihr den Stand zu den aktuellen Umfragen.in den Swing States
Statt Must-Win-States führen nun viele Wege zum Sieg
Noch vor drei Wochen war anzunehmen, dass Donald Trump die umkämpften Bundesstaaten im Süden der USA gewinnen wird. Arizona und Georgia hätte er im Vergleich zu 2020 zurückgewinnen können. Diese 27 Wahlmännerstimmen und ein erster republikanischer Sieg in Nevada seit George W. Bush 2004 und das Halten von North Carolina sollten mit dann bereits 268 gewonnenen Wahlmännerstimmen die Grundlage für den Gesamtsieg sein, wofür nur noch 2 Electoral Votes erforderlich gewesen wären. Dann hätte nur noch ein Bundesstaat des Rust Belts gefehlt, dessen Bundesstaaten Trump bereits 2016 den Sieg gegen Hillary Clinton bescherten.
Die Demokraten wären also gezwungen gewesen, die drei heiß umkämpften Bundesstaaten des Rust Belts, Pennsylvania, Michigan und Wisconsin zu gewinnen und dabei keinen weiteren Verlust etwa in New Hampshire, Virginia oder Minnesota hinzunehmen. Joe Biden sah sich also drei sog. Must-Win-States ausgesetzt. Angesichts von anhaltend schwachen Umfragewerten insbesondere in Pennsylvania war klar, dass die Demokraten mit Biden an der Spitze mit dem Rücken zur Wand standen. Die Aussage war also relativ einfach. Gewinnt Trump einen Battleground State im Rust Belt, wird er mit höchster Wahrscheinlichkeit der nächste Präsident.
Die aktuellen Umfragewerte lassen eine solch komfortable Ausgangslage für die Republikaner aber nicht mehr zu. Es gibt wieder viele verschiedene Wege für beide Seiten zum Sieg, was den Demokraten etwas mehr Spielraum ermöglicht.
Meine aktuelle Prognose basierend auf Umfragen und früherer Ergebnisse zeigt sieben Battleground States mit komplett offenem Ausgang (grau):
Was die heutige Situation also von der vor drei Wochen unterscheidet ist, dass es keinen sogenannten Must-Win-State mehr für die Demokraten gibt. Die Situation hat sich aber für die Republikaner auch noch nicht so verschlechtert, dass sie ihrerseits einen bestimmten Bundesstaat aus dem Kreise der Battleground States zwingend holen müssen.
Auf Basis der oben aufgeführten Karte fehlten Kamala Harris noch 44 und Donald Trump noch 51 Wahlmännerstimmen zum Sieg. Insgesamt sind in den sieben offenen Bundesstaaten 93 Wahlmännerstimmen zu gewinnen.
Rein mathematisch betrachtet ist aber weiterhin klar, dass Pennsylvania mit 19 Wahlmännerstimmen der wichtigste der Battleground States ist, da in den anderen Bundesstaaten weniger Electoral Votes zu holen sind (Georgia und North Carolina jeweils 16, Michigan 15, Arizona 11, Wisconsin 10, Nevada 6).
Die möglichen Siegkombinationen werde ich in den kommenden zwei Wochen wieder als Übersicht in den Blog aufnehmen.
Neue Impulse in den Umfragen sind aktuell durch die Nominierung von Tim Walz und dem im September anstehenden TV-Duell zu erwarten.
Geht die Rechnung mit Tim Walz auf?
Selten hatte ein Stimmungsumschwung, wie er in den letzten 2-3 Wochen in den Umfragen abzulesen war, eine so eindeutige Ursache. Der Rückzug Bidens und der nahezu geräuschlose Übergang zu Kamala Harris haben die von den Demokraten gewünschte Wirkung erzielt.
Die Nominierung von Tim Walz zum Vizekandidaten soll den Demokraten nun den nächsten etwas kleineren Boost geben. Kamala Harris verzichtete darauf, mit Josh Shapiro die Chance auf den Sieg in Pennsylvania maximal zu erhöhen. Shapiro wäre der klassische Kandidat für die moderate Wechselwählerschaft gewesen. Tim Walz dagegen soll durch sein politisches Profil die linke Wählerbasis mobilisieren und zugleich ein Wählerklientel ansprechen, das den Demokraten etwas abhanden gekommen ist, bzw. auf das sie zuletzt zumindest keinen Fokus mehr hatten. Als Vertreter der ländlichen Bevölkerung mit Affinität zu Arbeitern aus der Landwirtschaft, als Waffenbesitzer, ehemaliger Militärangehöriger und früherer Lehrer stellt er persönlich doch einen Kontrast zum teilweise elitären und großstädtischen Establishment der Demokraten mit Konzentration auf West- und Ostküste der USA dar. Dieser Spagat ist ein Kompromissangebot, das durch die offene, unkonventionelle und bürgernahe Art des Gouverneurs von Minnesota positiv ankommen soll. Aber natürlich ist ein Kompromiss nicht geeignet, die Ränder zu mobilisieren. Enttäuschte linke Wähler der Demokraten, die insbesondere mit der Rolle der US-Regierung im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern nicht zufrieden sind, wird Walz ebenso wenig umstimmen können, wie konservative Unabhängige, denen die Demokraten grundsätzlich zu weit links aufgestellt sind.
Ob also dieser nicht nur auf ein Thema oder einen Bundesstaat angelegte Ansatz der Demokraten, in die Breite zu gehen, am Ende tatsächlich auch aufgehen wird, bleibt fraglich. Erste Umfragen, die Tim Walz bereits mit berücksichtigen, sind in der kommenden Woche zu erwarten.
TV-Duelle gewinnen an Bedeutung
Ein weiterer Faktor auf dem Weg zum Wahltermin sind nun auch wieder die TV-Duelle. Während zwischen Trump und Biden die Präferenzen weitgehend geklärt waren, erhalten die Wähler nun auf Seiten der Demokraten ein neues Angebot. Je nach Auftritt hat Kamala Harris hier weit mehr zu gewinnen und zu verlieren als Donald Trump. Dessen Aufgabe ist es nun, den Aufschwung der Demokraten einzudämmen. Dass er gleich drei TV-Duelle im September vorschlug, zeigt, dass die Lage bei den Republikanern ebenfalls als ernst eingeschätzt wird. Die Siegessicherheit scheint verflogen zu sein.
Die Republikaner werden weiter auf ihre Topthemen (illegale) Einwanderung, Inflation und Wirtschaftspolitik setzen, die insbesondere auch in den Battleground States als die wichtigsten Themen angesehen werden. Wenn Trump weniger auf Harris persönlich eingehen würde, sondern mehr einen faktenbasierten Ansatz seiner eigenen politischen Vorstellungen verfolgte, könnte er hier punkten. Kamala Harris wird insbesondere auf die Rechte von Frauen (hier insbesondere das Thema Abtreibung), den Schutz der Demokratie, die Gesundheitsversorgung und Arbeitnehmerpolitik setzen. Die Außenpolitik wird von beiden Seiten mit unterschiedlichen Ansätzen vorgebracht werden.
Das Bild, das die Wähler von Trump haben, wird sich nicht sonderlich in die eine oder andere Richtung verändern. Auf die Performance von Kamala Harris wird geachtet werden. Gelingt es ihr eine sachliche Debatte mit einzelnen platzierten Angriffen gegen Donald Trump zu präsentieren, kann sie Wähler gewinnen, die zuletzt nicht mehr von Biden erreicht werden konnten. Aber auch die Mobilisierung der eigenen Wählerschaft ist von höchster Priorität.
Gelingt es Trump dagegen, das Bild von Kamala Harris, als gescheiterte Vizepräsidentin, die die Probleme an der Grenze zu Mexiko nicht in den Griff bekommen hat, weiter zu nähren und das Schreckgespenst eines linksradikalen Duos Harris-Walz zu etablieren, könnte dies den Demokraten entscheidende Stimmen bei den Wechselwählern kosten.
Für die Zuschauer dieser TV-Duelle kann es nur besser werden, weil wieder etwas auf dem Spiel steht und Bewegung in den Wahlkampf gekommen ist.
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