Mittwoch, 2. Oktober 2024

Vance überzeugt taktisch und stilistisch bei TV-Duell - Walz hat kritische Prüfung bestanden

Man konnte fast den Eindruck gewinnen, dass das TV-Duell der letzten Nacht etwas aus der Zeit gefallen war. Ungewöhnlich respektvoll ging es zu. Es wurde mehr über sachliche Themen gesprochen und diskutiert, als man es aus den vergangenen Präsidentschaftsdebatten gewohnt war. Kein Platz für persönliche Beleidigungen oder maßlose Selbstüberhöhungen. Tim Walz und JD Vance haben ihre Prüfungen auf großer Bühne bestanden und haben dem Wahlvolk gezeigt, wie man in aufgeheizten Zeiten auch miteinander umgehen kann.

Die komplette Debatte:




Wie viel davon aus Überzeugung oder eher taktischem Kalkül geschah, bleibt indes offen. Dass sich beide Kontrahenten aber im Laufe des Abends mit diesem Stil angefreundet hatten, war unübersehbar. Es ist lange her, dass zwei Kandidaten zur Präsidentschaftswahl sich so häufig einander zuwandten und sagten, dass man ja inhaltlich bei der einen oder anderen Zustandsbeschreibung kaum auseinander liege.


Vance gewinnt mehr Nutzen aus dem Duell

Als Zuschauer kann man natürlich nur bewerten, was man objektiv sieht. Bei der Frage, wessen Abend aber letztlich gelungener war, spielt auch die eigene Zielsetzung des Kandidaten oder dessen Wahlkampfteam eine Rolle.
Ich bewerte die Auftritte der letzten Nacht beide grundsätzlich positiv, der Republikaner Vance hat aber mehr Vorteile aus diesem Duell mitgenommen und aus meiner Sicht dieses damit auch knapp gewonnen.

Die Aufgabe für Vance war es, seine persönlichen Zustimmungswerte zu steigern und nicht zu einer Belastung für das republikanische Spitzenduo zu werden. Für Vance standen hierbei die unabhängigen Wechselwähler im Vordergrund. Dass sein Auftritt den Hardlinern unter den Trumpisten zu weichgespült gewesen sein dürfte,, spielt keine Rolle, da sie ohnehin Trump wählen und nicht Adressaten der vergangenen Nacht waren.
Vance ist es gelungen, höflich, selbstsicher, klar und inhaltlich auf der Höhe agierend aufzutreten. Das Bild, was ein Teil der Öffentlichkeit von ihm hatte, konnte er geraderücken oder hat zumindest fast alles Erforderliche dafür getan, dass zweifelnde Unentschlossene beruhigt sein können und sich nun doch zu Trump durchringen können.

Walz konnte oder wollte Vance nicht immer stellen

Dass ihm das gelungen ist, lag aber auch an seinem Gegenkandidaten. Tim Walz hat den Republikaner über weite Strecken gewähren lassen. Es war ja nicht so, als hätte Vance bei aller Freundlichkeit und Sachlichkeit nur wahre Dinge ausgesprochen. Einigen falschen Behauptungen hat er eben nur den Umhang der Sachlichkeit übergeworfen oder hat kritische Fragen vermieden zu beantworten. Dass die Republikaner die Retter der Gesundheitsreform Obamacare wären, war für die meisten Zuschauer neu. Ob Vance Kinder und Eltern bei Abschiebungen trennen würde, beantwortete er ebenso wenig, wie die Frage, ob er die republikanische Niederlage bei der letzten Präsidentschaftswahl eingestehen würde. Und auch die Darstellung, dass Trump einen friedlichen Übergang am 6.Januar 2021 ermöglichte, war ein Rückfall in seine sonst nicht selten zutage tretenden Verhaltensweisen in sozialen Netzwerken oder Wahlkampfveranstaltungen.

Tim Walz hat es nicht geschafft, JD Vance mit diesen Widersprüchen inhaltlicher und stilistischer Art unter Druck zu setzen. Zwar hat er Dinge richtig gestellt, inhaltliche Unterschiede auch gut herausgearbeitet, der richtige Zugriff fehlte aber. Vance fragliche Wandlung vom Populisten des Wahlkampfs zum sachlich-höflichen Debattierer im selbigen, ließ Walz dem Republikaner meist durchgehen. Nur ganz zum Schluss gelang es dem Demokraten, seinen Kontrahenten wirklich schwach aussehen zu lassen, als dieser es eben nicht schaffte, Trumps Wahlniederlage 2020 einzuräumen und sich so selbst ein wenig um den vollständigen Verdienst des Abends brachte.

Evtl. wollte Walz dies aber auch nicht. Es war vor dem TV-Duell klar, dass der Demokrat mit diesem Format etwas fremdelt. Er ging folglich auch sichtlich nervöser in das Duell und verlor so schon den Auftakt des Abends. Je länger die Debatte ging, desto sicherer wurde er. Aber auch bei ihm ging es darum, dieselbe Wählerschicht der Mitte für sich zu gewinnen. Hätte Walz nun übertrieben und den ruhigen Vance immer wieder attackiert, wäre der Demokrat als derjenige aus dem Duell gegangen, der den Zwist der vergangenen Jahr aufrechterhielt. Wohlwollend kann man also sagen, dass es Walz in Kauf nahm, Vance nicht allzu sehr herauszufordern, um selbst als überparteilicher souveräner und erfahrener Kandidat bei den Zuschauern in Erinnerung zu bleiben. Herausragende Debattierer hätten beide Ziele in Einklang bringen können.

Auch Vance opfert Ziele

Aber auch bei JD Vance tauchen beim zweiten Hinsehen strategische Fragen auf. Dem Republikaner ist es eben auch nicht gelungen, oder er hat darauf verzichtet, Tim Walz weiter als linksradikalen Irren zu diskreditieren. Wenn Trump also die Strategie weiter verfolgt, das Duo Harris/Walz als linke Bedrohung für die USA darzustellen, um so die Unentschlossen zu ihm zu treiben, war die letzte Nacht ein Rückschlag. Ist es also alles gar nicht so schlimm mit den Demokraten, könnten sich nun einige fragen, wenn Vance und Walz im Fernsehen so gut miteinander konnten? Und wie verhält es sich mit der Glaubwürdigkeit seiner Person, wenn Vance so unterschiedlich auftreten kann. Alles nur berechnende Taktik?

Das ist eben das Problem, wenn die eigene Authentizität anderen taktischen Zielen untergeordnet wird. Welcher Vance ist nun der echte? Solche grundlegenden Vertrauensfragen sollten bei Kandidaten zu diesem Zeitpunkt eines Wahlkampfes eigentlich nicht aufkommen. Da Vance aber von historisch schwachen Beliebtheitswerten kam, blieb ihm wohl aber auch nichts anderes übrig, als hier Prioritäten setzen.


Tim Walz musste sich seinerseits auch den Fragen zum Wahrheitsgehalts eigener Aussagen bezüglich eines Aufenthalts in Hongkong im Sommer des Jahres 1989 stellen. Walz hatte früher behauptet, zum Zeitpunkt der Proteste auf dem Tian'anmen Platz dort gewesen zu sein. Tatsächlich war er aber erst einige Monate später nach China gereist. Er gab schon in den vergangenen Wochen zu, dass er sich in diesem Punkt versprochen habe und bettete das in ein Bild von ihm selbst ein, was ihn zusammengefasst so zeichnet, als würde er rhetorisch manchmal etwas auf Abwege geraten, er sei manchmal ein Dummkopf in solchen Dingen. Ob Walz damals bewusst gelogen hat oder tatsächlich nur etwas unpräzise formulierte, muss jeder selbst bewerten. Walz wählte in der letzten Nacht aber den Weg, sich etwas verniedlichend, als nahbarer Mensch darzustellen, der auch mal Fehler machte und diese auch zugebe. Dies ist auch ein Weg, authentisch zu wirken oder auch hier wohlwollend formuliert, es tatsächlich zu sein.


Vorteile bei Vance überwiegen

Zusammengefasst denke ich, dass JD Vance insgesamt von diesem Duell profitiert hat. Er hat alles getan, um das Negativ-Image etwas abzuschütteln und zumindest oberflächlich ist ihm das gut gelungen. Gleichzeitig prägte sein Kommunikationsstil an dem Abend die Atmosphäre der gesamten Debatte, die Tim Walz aufnahm und seinerseits mit Leben füllte.
Walz hat sich nach anfänglichen Schwierigkeiten gefangen und konnte später auch eigene gute Akzente setzen. Der Demokrat hat aber einige Punkte liegen gelassen, die ihn zum Sieger des Abends hätten machen können. So überwiegen die Vorteile doch eher bei Vance.

Insgesamt dürfte der Ausgang dieses Duells aber doch eher nur marginalen bis gar keinen Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt haben. Dafür hätte einer der beiden Kandidaten sich deutlich disqualifizieren müssen oder aber in so herausragender Form argumentieren müssen, dass dessen Performance über Wochen noch in den Köpfen bleibt und Gesprächsthema ist. Beide Kandidaten haben darauf verzichtet, dieses hohe Ziel zu erreichen und waren erfolgreich darin, keine Bürde für ihre Spitzenkandidaten zu sein. Somit liegt nun alles wieder in den Händen von Kamala Harris und Donald Trump, bzw. in denen aller Wählenden in den USA.

Dienstag, 1. Oktober 2024

Walz und Vance vor der Vizepräsidentendebatte

In der kommenden Nacht kommt es zum einzigen direkten Aufeinandertreffen zwischen den Vizekandidaten Tim Walz (Demokrat) und JD Vance (Republikaner). Um 03:00 Uhr beginnt das TV-Duell, das vom Sender CBS ausgestrahlt wird, aber auch auf anderen US-Kanälen und im Internet zu sehen ist. In Deutschland kann die Debatte ab 02:40 Uhr auf phoenix und Das Erste verfolgt werden.

Traditionell haben die Duelle zwischen den sog. Running Mates der Spitzenkandidaten keinen signifikanten Einfluss auf den Wahlausgang. In diesem Jahr lohnt es sich dennoch etwas genauer hinzusehen. Bei komplett offenen Wahlausgängen in sieben Swing States können auch kleine Verschiebungen entscheidend sein. Und die Konstellation in diesem Jahr ermöglicht es sowohl Walz als auch Vance für sich und für Harris oder Trump zu werben.


Letztes direktes Aufeinandertreffen beider Lager?

Normalerweise gibt es nach dem TV-Duell der beiden Vizekandidaten immer noch eine Debatte zwischen den beiden Spitzenkandidaten. Das ist derzeit zumindest nicht final geplant, so dass das Duell heute Nacht ggf. das letzte Aufeinandertreffen zwischen dem Spitzenpersonal beider Parteien sein wird. Die Eindrücke dieses Auftrittes haben allein deswegen schon eine etwas größere Bedeutung, obwohl der überwiegende Teil der Wählerschaft ihre Entscheidung schon von der Frage abhängig macht, ob sie Kamala Harris oder Donald Trump bevorzugen. Aber es gibt eben auch noch einen kleinen Teil unentschlossener Wähler, an die sich Walz und Vance heute Nacht richten werden. Jene könnten den letzten nötigen Impuls erhalten, sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Auch wenn es natürlich die Aufgabe ist, für Harris und Trump zu werben, kommt dem persönlichen Auftreten der beiden Running Mates in diesem Jahr eine hohe Bedeutung zu. Wer kein Vertrauen gewinnen kann oder unsympathisch wirkt, wird den evtl. letzten Eindruck vor einer Wahlentscheidung nicht in die eigene Richtung lenken können.


Walz präferiert andere Formate

Tim Walz hat den Vorteil, den richtigen politischen Instinkt zu haben und er weiß, wie er sprechen und agieren muss, um bei den Zuschauern einen authentischen Eindruck erwecken zu können. Das Format ist allerdings nicht auf ihn zugeschnitten. Walz kann seine Stärken vor großen Mengen oder in direktem Kontakt mit den Bürgern ausspielen. Eine ruhige strikt durchgeplante Debatte in einem direkten Duell mit seinem Gegenkandidaten, gesteuert durch Moderatoren, können die Stärken von Walz hemmen. Er selbst betrachtet sich auch nicht als guten Debattierer in solchen Formaten. Es wird also sehr spannend zu beobachten sein, ob es Walz gelingt, auf einer solch großen "Bühne" eine gute Verbindung zu den Zuschauern herzustellen. Außerdem muss er seine verbalen Angriffe auf JD Vance wohl dosieren. Ein Auftritt wie in einer mit ihm zujubelnden Menge von Anhängern der Demokraten wäre unangemessen und könnte als "over the top" wahrgenommen werden. Andererseits darf er sich auch nicht auf eine Art intellektuelles Kamingespräch einlassen, denn hierbei könnte JD Vance seine Vorteile besonders gut ausspielen.


Vance kann Walz mit Sachlichkeit auf dem falschen Fuß erwischen

Die Wahrnehmung von Vance hat nach dessen Nominierung gelitten. Seine Beliebtheitswerte liegen hinter denen von Tim Walz. Hinzukommt, dass Vance mit seinen Bemerkungen zu "childless cat ladys" und erfundene Geschichten über Haustiere essende Einwanderer in Ohio zwar die Wählerschaft Trumps bediente, bei den Unabhängigen Wählern aber kaum gepunktet haben dürfte.

Die Gefahr dass Walz den Republikaner unterschätzt ist grundsätzlich vorhanden, sollte dem Demokraten aber auch bekannt sein. Vance ist klug genug, sich auf solche Formate gut vorzubereiten und seine Angriffspunkte gegen Walz geschickt auszuspielen, so dass dieser in die Defensive kommt. Spontanität oder emotionale Reden sind dagegen meiner Wahrnehmung nach nicht Vance Stärken, in der kommenden Nacht aber auch nicht unbedingt gefragt, es sei denn Walz gelingen Überraschungsangriffe, mit denen Vance nicht gut umgehen kann. Der Republikaner verfügt über eine gute Auffassungsgabe und kann auch überzeugend argumentieren, wenn er denn will. Gelingt es ihm in dieser Nacht, Tim Walz mit weniger populistischen, dafür aber präzise sachlichen Argumenten zu stellen, könnte der Demokrat ins Schwimmen kommen.

Für beide Kandidaten gilt, dass dies der wichtigste Auftritt in ihrer bisherigen Karriere ist.


Ziel sollte für beide Kandidaten sein, diese Nacht nicht als klarer Verlierer vom Platz zu gehen. Die Erwartungshaltung, dass sie den ausschlaggebenden Punkt für Harris oder Trump setzen können, wäre vermessen. Es wäre schon viel gewonnen, gelänge es einem der Kandidaten das Thema der kommenden ein bis zwei Wochen zu bestimmen, sei es durch eigene gelungene Äußerungen, provozierte misslungene Äußerungen des Kontrahenten oder einem neuen Inhalt, der bislang noch nicht so sehr im Fokus lag.


Treten Trump und Harris doch nochmal gegeneinander an?

Hauptverantwortlich für das Wahlergebnis werden aber Kamala Harris und Donald Trump sein. Dass sie sich beide noch nicht auf ein weiteres Duell einigen konnten, überrascht doch ein wenig. Weder die eine, noch die andere Seite können sich eines Sieges gewiss sein. Normalerweise müssten sie jede Möglichkeit nutzen, um die Wählerschaft zu überzeugen und das Heft des Handelns selbst in der Hand zu behalten. Eine Einladung von CNN hat Harris angenommen, Trump lehnt bisher ab. Zwei Gründe kann dies haben. Entweder ist er sich tatsächlich so siegessicher, dass er meint, dies nicht mehr zu brauchen oder er fürchtet, dass sich seine Ausgangslage dadurch verschlechtert. Es entspricht aber eigentlich nicht seiner Art, die Bühne eines finalen Aufeinandertreffens auszulassen. Die direkte Konfrontation scheut Trump in der Regel nicht. Spätestens für den Fall, dass der Wahlausgang doch droht, zu seinen Ungunsten zu verlaufen, dürfte Trump einem solchen Format nochmal zustimmen. Bleibt es bei einem offenen Rennen, was derzeit wahrscheinlich ist, kann es aber tatsächlich sein, dass Trump ein letztes Duell eher als Risiko betrachtet.