Donnerstag, 29. Oktober 2020

Wie sind erste Zwischenergebnisse der Wahlnacht zu bewerten? Wie wird ausgezählt?

Ich hoffe, dass wir in einer Woche bereits wissen, ob Donald Trump oder Joe Biden im kommenden Jahr im Weißen Haus sein werden. Vieles hängt davon ab, wie schnell und wie sorgfältig die Auszählungen in den einzelnen Bundesstaaten erfolgen werden und insbesondere auch, wie eng das Rennen zwischen den beiden Kontrahenten sein wird.

Die großen Fernsehanstalten in den USA "verkünden" den Sieger in den jeweiligen Bundesstaaten, sobald sie sich sicher sind, dass einer der beiden Kandidaten dort eine Mehrheit errungen hat. In Bundesstaaten mit traditionell großen Abständen wie z. B. Wyoming oder Massachusetts treffen sie solche Aussagen aufgrund von Wahltagsbefragungen, meist auch kombiniert mit Befragungen von Wählerinnen und Wählern des Early Votings. Je enger aber der Wahlausgang zu sein scheint, desto mehr verlassen sie sich auf die tatsächlichen Wahlergebnisse, die im Laufe der Wahlnacht aus allen Teilen des Landes veröffentlicht werden. Wird es ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen, spielen Wahltagsbefragungen kaum noch eine Rolle.

Es werden aktuelle Teilergebnisse veröffentlicht - keine Hochrechnungen.


Das Ausrufen eines Siegers in einem Bundesstaat, basiert also je nach Abstand aus einem Mix aus Wahltagsbefragungen und tatsächlichen Ergebnissen. Es findet praktisch auch eine Art Hochrechnung statt. 
Bevor aber der Sieger in einem Bundesstaat ausgerufen wird, liegen im Laufe der Nacht nach Schließung der Wahllokale in diesem Bundesstaat Teilergebnisse aus den einzelnen Counties vor. (Eine Übersicht, wann in welchem Bundesstaat die Wahllokale schließen, stelle ich hier am Wochenende nochmal zusammen.) Es wurden in der Darstellung der Zwischenstände auch nur diese Teilergebnisse veröffentlicht, aber keine prozentualen Hochrechnungen, wie man sie etwa aus Deutschland kennt.
Anhand der veröffentlichten Zwischenergebnisse sind Tendenzen erkennbar, die aber auch mit Ergebnissen aus früheren Wahljahren verglichen werden müssen, um eine Bewertung abzugeben, ob das Ergebnis nun gut oder schwach für einen Kandidaten ist.
Beispiel:
In einem Bundesstaat steht es nach Auszählung von 75% aller Stimmen 52% für A und 48% für B. Ausgezählt sind nahezu alle Counties, in denen A bzw. dessen Partei bei früheren Wahlen Ergebnisse von 65-70% erzielt hat. Ausstehend sind noch ein paar knappe Ergebnisse und die Hochburgen von Kandidat B. Man weiß also, dass A zwar führt, in diesem Jahr aber schwächer als üblich abschneidet und die vermutlich starken Zahlen für Kandidat B noch folgen. A gilt dann keineswegs mehr als Favorit, obwohl er mit 4% Vorsprung führt.

Hoher Anteil an Briefwahlstimmen ist auch bei Zwischenergebnissen relevant


In diesem Jahr kommt noch ein wichtiger Faktor dazu. Bis heute haben 75 Mio US-Amerikaner beim Early Voting abgestimmt. Das entspricht etwa 55% der Wahlbeteiligung aus dem Jahr 2016. Es darf also angenommen werden, dass in diesem Jahr weniger als die Hälfte aller Stimmen am eigentlichen Wahltag abgegeben werden. Aus Umfragen weiß man, dass insbesondere registrierte Demokraten an der Briefwahl teilgenommen haben. Diese sind auch in vielen Bundesstaaten beim Early In-Person-Voting, also der frühzeitigen persönlichen Stimmabgabe in einer offiziellen Wahlstelle leicht überrepräsentiert. Trump-Anhänger dagegen, gaben mehrheitlich an, lieber am Wahltag die Stimme abgeben zu wollen.

Es kann also interessant werden, welche Stimmzettel wann ausgezählt werden. Vereinfacht gesagt: Werden in dem einen Bundesstaat erst die Briefwahlstimmen ausgezählt und deren Ergebnisse verkündet, könnte Biden zunächst in Führung liegen, später aber noch mit den Stimmen des Wahltags von Trump eingeholt werden. In einem anderen Bundesstaat folgen die Briefwahlstimmen erst nach denen des Wahltags, mit dem umgekehrten Effekt, dass Biden zum Ende aufholt.

Wenn also erste Zwischenergebnisse aus den Bundesstaaten gemeldet werden, lohnt es sich zu wissen, woher sie stammen und was tatsächlich ausgezählt wurde. Es wird in einer solchen hochdynamischen Nacht kaum Zeit bleiben, lange zu recherchieren. Dafür werden zu schnell, zu viele Ergebnisse aus zu vielen Bundesstaaten veröffentlicht. Umso wichtiger ist es, ein paar wesentliche Fakten (siehe unten) zu kennen.

Bzgl. des Endergebnisses spielt das keine Rolle. Wer sich also am Tag nach der Wahl, nur für das Endergebnis interessiert, muss sich mit Detailfragen zur Auszählung nicht weiter auseinandersetzen. Wer aber in der Wahlnacht hier bei mir im Live-Blog oder anderswo die Entwicklungen und Ergebnisse verfolgt, sollte immer im Hinterkopf haben, welche Zahlen zu welchem Zeitpunkt vorliegen, um einschätzen zu können, wer aktuell gut im Rennen liegt, solange die TV-Sender den Sieger eines Bundesstaats nicht "offiziell" verkündet haben.
Dafür ist es also wichtig, gerade auch mit den Umständen der Auszählungen vertraut zu sein.

Wie wird in den wichtigen Bundesstaaten ausgezählt?


Letztlich spielen ohnehin nur die bereits bekannten wichtigen Battleground States eine Rolle. Einige besonders wichtige Bundesstaaten mit offenem Ausgang habe ich im Folgenden aufgeführt und die jeweiligen Vorgehensweisen der Auszählungen, soweit bekannt, zusammengefasst.
Zu beachten ist, dass die jeweiligen Annahmen nur gelten, wenn genügend repräsentative Counties Zahlen gemeldet haben (siehe o.g. Beispiel).

Florida: Es werden zuerst die Early Votes (Briefwahl vor dem Wahltag und frühzeitige persönliche Stimmenabgabe) ausgezählt. Es ist bereits heute erlaubt, die eingegangen Briefwahlstimmen zu prüfen und zur Auszählung vorzubereiten. Die Auszählung beginnt am Wahltag. Danach folgen dann die Stimmen des Wahltags. Es ist anzunehmen, dass erste Zahlen aus Florida tendenziell ein besseres Zwischenergebnis für Joe Biden zeigen, als im Endergebnis.

North Carolina: Es werden zuerst die Early Votes (Briefwahl und frühzeitige persönliche Stimmenabgabe) ausgezählt. Es ist bereits jetzt erlaubt, die eingegangen Briefwahlstimmen zu prüfen und zur Auszählung vorzubereiten. Danach folgen dann die Stimmen des Wahltags. Es ist anzunehmen, dass erste Zahlen aus North Carolina tendenziell ein besseres Zwischenergebnis für Joe Biden zeigen, als im Endergebnis.

Michigan: Hier gibt es keine feste Reihenfolge. Die Prüfung der Briefwahlstimmen darf erst am Wahltag erfolgen, demnach findet auch noch keine vorige Auszählung statt. Sind viele Briefwahlstimmen noch nicht zur Auszählung vorbereitet, wenn die Wahllokale schließen, ist anzunehmen, dass Donald Trump in ersten Zwischenergebnissen tendenziell besser abschneidet, als im Endergebnis.

Arizona: Es werden zuerst die Early Votes (Briefwahl vor dem Wahltag und frühzeitige persönliche Stimmenabgabe) ausgezählt. Es ist bereits erlaubt, die eingegangen Briefwahlstimmen zu prüfen und auszuzählen. Danach folgen dann die Stimmen des Wahltags. Es ist anzunehmen, dass erste Zahlen aus Arizona für Joe Biden tendenziell ein besseres Zwischenergebnis zeigen, als beim Endergebnis.

Pennsylvania: Um besondere Schwankungen zu vermeiden, sind die Counties aufgefordert, keine getrennte Veröffentlichung der Ergebnisse vorzunehmen, sondern Early Votes mit Stimmen des Wahltags normal zu vermischen und die Zwischenergebnisse pro Wahlbezirk regulär zu melden.
Aber: Briefwahlstimmen dürfen erst am Wahltag geprüft und zur Auszählung vorbereitet werden. Da bekannt ist, dass viele Briefwahlstimmen eingegangen sind, wird erwartet, dass die Prüfung und Auszählung eher Tage als Stunden dauern wird. Es ist anzunehmen, dass erste Zahlen aus Pennsylvania für Donald Trump tendenziell ein besseres Zwischenergebnis zeigen, als im Endergebnis. Dies gilt dann, wenn besonders viele Briefwahlstimmen am Wahltag und in der Wahlnacht noch nicht gezählt werden konnten.

Ohio: Es werden zuerst die Early Votes (Briefwahl und frühzeitige persönliche Stimmenabgabe) ausgezählt. Es ist bereits jetzt erlaubt, die eingegangen Briefwahlstimmen zu prüfen und zur Auszählung vorzubereiten. Die Auszählung beginnt am Wahltag. Danach folgen dann die Stimmen des Wahltags. Es ist anzunehmen, dass erste Zahlen aus Ohio für Joe Biden tendenziell ein besseres Zwischenergebnis zeigen, als im Endergebnis.
Beachte: Auch Briefwahlstimmen, die nach dem Wahltag eingehen, und zwar bis zum 13. November, werden noch gezählt. Das Ergebnis dieser nachträglichen Briefwahlstimmen wird geschlossen am 28. November verkündet. Kommt es in Ohio zu einem äußerst knappen Kopf-an-Kopf-Rennen, ist viel Geduld gefragt.

Wisconsin: Hier gibt es keine besondere Reihenfolge der Auszählung. Persönliche Stimmen vor (Early Voting) und am Wahltag werden aber in vielen Wahlbezirken den Briefwahlstimmen bei der Auszählung vorgezogen. Briefwahlstimmen werden erst am Wahltag geprüft und zur Auszählung vorbereitet. Sollte es ein knappes Rennen geben, ist es möglich, dass der Sieger nicht mehr in der Wahlnacht feststehen wird. Spätere Ergebnisse, die bis dahin noch ausstehende Briefwahlstimmen berücksichtigen, könnten Joe Biden noch einen kleinen Vorteil zum Ende einbringen.

Georgia: Hier gibt es keine feste Reihenfolge. Briefwahlstimmen dürfen aber jetzt schon sofort nach Eingang auf Formalitäten und Gültigkeit geprüft werden. Die Zählung dieser Stimmen darf aber erst am Wahltag vorgenommen werden.

Texas: In Texas spielt das Thema Briefwahl nur eine untergeordnete Rolle, da man hier eine besondere Begründung angeben muss, um per Brief abstimmen zu dürfen. Dies senkt die Anzahl der Briefwahlstimmen im Vergleich zu anderen Bundesstaaten signifikant. Besondere Verzögerungen oder Unterschiede in den Ergebnisdarstellungen sind daher nicht zu erwarten.

3 Kommentare:

Stephan hat gesagt…

Ich habe mir mal die Mühe gemacht die Bundesstaaten mit Wahlmännern und deinen zusammengefassten aktuellen Umfragen in eine Excel-Tabelle zu packen.
Es ist in meinen Augen viiiiel knapper als man denken mag.

Angenommen Trump verbessert sich bei der Wahl in den knappen Bundesstaaten leicht gegenüber den Umfragen (ca. 2%). Wir hatten ein ähnliches Phänomen in Deutschland. Menschen gaben bei Umfragen seltener an AFD zu wählen, als sie es letztendlich taten.
Und er gewänne damit Georgia, Florida, Iowa, North Carolina und Arizona. Was durchaus im Bereich des Möglichen ist. Dann fehlt ihm einzig und allein Pennsylvania. Ein einziger Bundesstaat, in dem Biden mit ca. 5% vorne liegt.

Thomas hat gesagt…

Hallo Stephan,
du liegst aus meiner Sicht im Ergebnis richtig. Die von die angeführten Bundesstaaten sind alle offen, ein Umfragenvorsprung von weniger als 5% ist kaum aussagekräftig. Man darf nicht überrascht sein, wenn Trump all diese Bundesstaaten gewinnt (er hat sie alle ja 2016 auch schon gewonnen). Problem für Trump ist nur, dass er sich eben keine Schwäche leisten kann. Fällt auch nur ein Bundesstaat, z. B. Florida oder North Carolina an Biden, muss es neben Pennsylvania schon noch ein weiterer Bundessstaat sein, der laut Umfragen zu Biden neigt.

Hägar hat gesagt…

- wichtigen Bundesstaaten und Battleground States -

Dazu hätte ich mich ein Artikel und deine Meinung bezüglich "Aktion Red Map" der Repsen interessiert!